Selbstbestimmte Geburt: Jeder hat sie – die eigene Meinung. Zu bestimmten Themen mehr, zu anderen weniger. Aber es gibt kaum eine Zeit im Leben einer Frau, in der es so wichtig ist, eine eigene Meinung zu haben und vor allem auch zu vertreten wie in der Zeit rund um die Geburt seines eigenen Kindes.
Ein einmaliges Erlebnis
Das Erlebnis „Geburt“ ist im Leben einmalig. Und damit meine ich nicht einmalig wie beispielsweise die erste eigene Wohnung. Sondern damit meine ich unwiderruflich einmalig. Du kannst ausziehen und in die gleiche Wohnung erneut einziehen, aber Du kannst nicht Dein Kind gebären und genau diese eine Geburt noch einmal erleben. Nichts würde wieder so sein wie bei diesem einen einzigen Male. Keine weitere Schwangerschaft und schon gar nicht eine weitere Geburt. Jedes Gefühl wird sich anders anfühlen, jede Empfindung anders wahrgenommen werden und jedes Kind wird einen anderen Weg einschlagen. Die Uhren werden anders ticken und die Umstände vielleicht neu geregelt sein.
Man muss sich dessen einfach bewusst werden, um zu verstehen, um was es geht. Eine Geburt ist das natürlichste und normalste der Welt – ja, das mag stimmen. Aber in unserer heutigen Zeit ist es etwas anderes geworden als zu Zeiten, in denen die Frauen noch – übertrieben gesagt – ihre Kinder im Wald geboren haben. Und nein, definitiv bin ich kein Freund einer strickt außerklinischen Geburtshilfe. Ebenso darf man seine eigene Meinung auch nicht überstrapazieren und unnötige Risiken eingehen, nur damit man möglichst selbstbestimmt sein Kind zur Welt bringen kann.
Selbstbestimmte Geburt: die eigene Meinung
Aber man muss seine eigene Meinung äußern. Man muss hinterfragen, was mit einem selbst oder dem eigenen Kind gerade passiert. Wieso lässt man sich ohne Aufklärung Blut abnehmen? Warum schluckt man Pillen und Säfte ohne zu wissen, was man da gerade eigentlich zu sich nimmt? Weshalb hinterfragt man nicht, was mit dem Kind los ist? Wieso nimmt man es einfach hin, dass die Herztöne vom Ungeborenen auf einmal einen Abfall von bis zu 80 Schlägen pro Minute aufzeichnen?
Wenn ich solche Situationen im Kreißsaal mitbekomme – dazu muss ich direkt betonen, dass ich IMMER und unter allen Umständen die Frau über alles aufkläre – würde ich so manch einen am liebsten nehmen und schütteln. Denn genau hier und jetzt steht man doch schon mitten in seiner Verantwortung. Einer Verantwortung seines ungeborenen Kindes gegenüber. Natürlich legt man sein ganzes Vertrauen in die Hände der Hebammen und Ärzte, aber auch wir sind nur Menschen und machen sicher auch mal Fehler. Sei es „nur“ eine falsche Entscheidung, ob man die Geburt bei Überschreitung des Geburtstermins künstlich einleiten soll oder nicht. Darüber gibt es zig Studien und noch mehr Meinungsverschiedenheiten.
Rechte und Pflichten
Genau da ist es an der Zeit, Deine eigene Meinung einzubringen. Denn auch wenn es oft so scheint, als würden die Hebamme und/oder der Arzt entscheiden, was als nächstes passiert, so ist es doch von großer Bedeutung, was die werdende Mutter selbst dabei denkt und das bestenfalls auch ausspricht.
Es ist ihr gutes Recht und vor allem aber auch meine Pflicht, dass sie Bescheid weiß darüber, was man gerade mit ihr und ihrem Baby macht oder vorhat, aber auch welche Möglichkeiten überhaupt zur Auswahl stehen. Meine eigene Meinung oder die des diensthabenden Arztes ist nicht unbedingt immer die Richtige. Oft wissen die Frauen selbst am besten, was jetzt gut ist und was weniger. Daher sollte man als Schwangere kaum etwas einfach so hinnehmen. Wenn man dann sieht, dass die Frau oder gar das Paar sich Gedanken macht, Dinge hinterfragt und nicht alles stillschweigend annimmt, dann werden alle Beteiligten immer das Gefühl haben, auf einem guten Weg zu sein.
Selbstbestimmte Geburt
Ob nun aber eine selbstbestimmte Geburt immer das Beste ist, sei mal dahin gestellt. Aber es ist definitiv immer das Beste, seine eigene Meinung zu äußern.
Auch, wenn es ganz bestimmt Situationen im Verlauf der Geburt geben wird, in denen die Hebamme oder der Arzt das letzte Wort haben. Beispielsweise wenn es um das Wohl Deines Kindes geht. Denn nicht jede Position der Schwangeren ist während der Geburt für das Ungeborene von Vorteil. Zum Beispiel wenn das Kind in rechter Seitenlage der Mutter auf seiner eigenen Nabelschnur liegt, und sich somit die Versorgung des Kindes verschlechtert.
Angst und Zweifel
Von solchen Situationen abgesehen, erlebe ich es im Alltag als Hebamme aber leider immer wieder, dass Schwangere auf dem Weg in den Kreißsaal ihren Kopf vergessen. Viel schlimmer aber: Ihre eigene Meinung, ihr eigenes Ich und ihr Selbstwertgefühl bereits vor dem Betreten des Kreißsaals abgeben.
Wieso? Das habe ich mich lange Zeit auch gefragt. Nach einigen Jahren Erfahrung und vielen Gesprächen mit den betroffenen Frauen wurde es mir immer klarer. Es ist eine Mischung aus Angst und Zweifeln.
Angst, man könnte etwas falsch machen. Aber auch Angst davor, sich in einer erstmal völlig fremden Umgebung und Situation so zu entfalten, wie man gerne möchte. Angst davor, wer sich hinter der Kreißsaaltür befindet, wenn diese nach einem kurzen Klingeln geöffnet wird. Ist es die Hebamme, die ich bereits bei der Anmeldung unsympathisch fand oder doch die nette Hebamme aus dem Geburtsvorbereitungskurs? Es gibt sicherlich viele Faktoren, welche eine bereits bestehende „Angst“ begünstigen. Genauso wie gewisse Zweifel, die sicherlich jede Frau mit in den Kreißsaal nimmt: Kann ich das? Schaffe ich das? Werde ich in der Lage sein, das Kind ohne jegliche Hilfe und Erleichterung durch gewisse Schmerzmittel auf die Welt zu bringen? Der Fragenkatalog an sich selbst ist dick. Und dem gerecht zu werden sehr schwer. Denn man darf eines nicht vergessen: Das Kind gibt nun den Weg an.
Eigene Vorstellung vs. eigene Meinung
Genau deshalb ist es auch wichtig, dass man offen an die Geburt herangeht. Zu viele genaue Vorstellungen und Wünsche sind für das eigene Erleben im Verlauf der Geburt nur hinderlich. Wenn man sich die Geburt bereits im Kopfe ausmalt und sich unbedingt auf einem Hocker entbinden sieht, kann man fast davon ausgehen, dass die Geburt nicht auf einem Hocker stattfinden wird. Dennoch – genau darum geht es – ist es wichtig und absolut von Vorteil, wenn man überhaupt eine Vorstellung, eine eigene Meinung im Kopf hat.
Man sollte unter keinen Umständen in den Kreißsaal gehen und erwarten, dass die Hebamme einen entbindet. Einfach so und ohne die Gesamtsituation zu hinterfragen. Deshalb ist es auch ratsam, zuvor einen Geburtsvorbereitungskurs gemacht zu haben. Wie man unter der Geburt mit Wehen richtig atmet, ist gar nicht so entscheidend, denn in der Regel hat man das letztendlich unter echten Wehen wieder vergessen. Dafür sind wir Hebammen dann ja auch da. Aber es ist enorm wichtig, gewisse Dinge und mögliche Situationen, die Dich unter der Geburt erwarten könnten, einfach mal gehört zu haben. Um einfach ein Gespür, ein Gefühl dafür zu bekommen, ob die Situation den Umständen entspricht oder eben nicht.
Deine selbstbestimmte Geburt
Denke immer daran: Es ist die Geburt DEINES Kindes. Und alle anderen Beteiligten von der Hebamme bis hin zum Arzt sollten in jedem Fall stille Beobachter und gute Zuhörer sein, welche Dir mit bestem Rat und guter Tat zur Seite stehen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Zu erwarten, dass andere für Dich den Part der Geburt übernehmen ist ein ganz falscher Gedankengang. Verschenkt diesen Moment nicht mit Ängsten und Zweifeln. Denn auch wenn die Geburt vielleicht nicht der schönste Tag in Deinem Leben werden wird, so wird es trotzdem ein ganz besonderes, einmaliges Erlebnis sein. Und ob ihr aus diesem Erlebnis mit einem positiven, zufriedenstellenden Gefühl oder mit einem eher negativen und nachdenklichen Gefühl herausgeht, habt ihr zunächst einmal ein Stück weit selbst in der Hand.
Für Dein einmaliges Erlebnis wünsche ich Dir
alles Liebe,
rosarot.babylau
Zum Weiterlesen:
- Von Autorin und 3-fach-Mama-Simone: Was genau ist eine selbstbestimmte Geburt?
- Von Hebamme Christina: „Die selbstbestimmte Geburt endet, wenn ich nicht mehr mitgehen kann“
Sehr gut geschrieben!
Sprichst mir aus der Seele ❤️