Wenn Menschen mir begegnen mit der Aussage „Du hast aber einen schönen Beruf“, dann denke ich immer „JA“, den habe ich definitiv, aber Hebamme zu sein heißt so unendlich viel mehr als bei der Geburt „nur das Baby aufzufangen“.
Viel mehr als „nur das Baby auffangen“
Die meisten Kinder kommen nachts zur Welt. Genau dann, wenn die meisten Menschen und somit auch einige Krankenhausmitarbeiter schlafen. Die Aufnahme zum Beispiel darf nachts schlafen, wodurch jede Station, welche nachts eine Neuaufnahme bekommt, diese selbst aufnehmen muss. Das wiederum bedeutet jede Menge Papierkram: Krankenkassenkarte einlesen, darauf hoffen, dass die Karte lesbar ist, fehlende Daten erfragen und nachtragen. Dann die Patientin einer Station zuweisen, gefühlte 358 Seiten Papier drucken und letztendlich fünf Mal das Eitkettenpapier falschherum in den Drucker legen. Klingt alles ganz einfach, ist es in der Regel auch, wären da nicht ein langsamer Computer und ein oftmals streikendes Patientenprogramm. Nun ja, nach dem 17. Versuch ist die Patientin dann endlich im Computer erfasst. Dann werden Etiketten gedruckt, um später das abgenommene Blut ins Labor bringen zu können.
Routineablauf
In den meisten Fällen erhält die Schwangere einen intravenösen Zugang (Viggo, Zugang, Braunüle, Zugang in der Vene, um beispielsweise Infusionen durchlaufen zu lassen) – es wird der Blutdruck, Puls und Temperatur gemessen, ach und ein bisschen Urin fordern wir dann auch noch ein. Danach geht es meistens erst einmal mit dem Arzt zum Ultraschall, dieser überprüft noch einmal die Versorgung und den Zustand des Kindes. Danach geht es zurück zur Hebamme in den Kreißsaal und die Schwangere wird erst einmal eine Runde ans CTG (cardio-toko-graphie: Herz-Wehen-Überwachung) gelegt.
Währenddessen ist Zeit über das weitere Vorgehen zu sprechen. Möchte die Frau vielleicht:
- spazieren gehen
- sich im Kreißsaal frei bewegen
- für ein Entspannungsbad in die Badewanne gehen
- noch etwas Essen
- in Ruhe gelassen werden
- etwas schlafen
Die Liste der Möglichkeiten ist lang.
Beobachtungsphase der Hebamme
Irgendwann jedoch ist die Geburt soweit fortgeschritten, dass selbst die erfahrenste, werdende Mama nicht mehr freiwillig den Kreißsaal verlässt. Spätestens hier fangen wir Hebammen immer ganz genau und im Detail an zu beobachten. Wie verhält sich die Frau? Was ist ihr nun wichtig? Wie atmet sie? Welche Bedürfnisse äußert sie? In welcher Position kommt sie mit den Wehen am besten zurecht? Das alles ist extrem hilfreich für uns Hebammen, um die werdende Mama in dieser Phase optimal einschätzen zu können. Um ihr dadurch am Ende eine optimale Betreuung zu bieten.
Der Hebammenblick
Wir sehen dort nämlich nicht nur eine Frau, die gerade ihr Baby bekommt, sondern oft auch ein Paar, welches gerade auf dem Weg ist, Eltern zu werden. Und dann sieht man vielleicht auch ein wenig hinter die Beziehungskulissen. Ziemlich schnell bekommt man so heraus, in welchem Verhältnis das Paar zueinander steht, welche Bedeutung die Geburt für jeden von ihnen hat und auch vielleicht wohin das Ganze später einmal führen könnte. Dabei sollte sich niemand beobachtet fühlen. Hebammen haben für so etwas einfach ein Gespür. Während wir mit Adleraugen zu jeder Zeit das CTG und somit die Aufzeichnung der kindlichen Herztöne im Blick haben, so können wir auch oftmals anhand von Gestik und Mimik der Frau erkennen, was gerade ihr aktuelles Bedürfnis ist.
Das Hebammendenken
Dazu zählt auch, zu erkennen, ob die Gesamtsituation gerade tragbar ist, oder ob es Störfaktoren gibt, welche es zu beseitigen gilt. Top Thema Nummer 1 unter der Geburt ist bei ganz vielen Frauen der „Stuhlgang“. Einige wissen jedoch gar nicht, dass durch den Kopf des Kindes bei fortlaufender Geburt die Möglichkeit besteht, dass man Stuhlgang hat. Andere wiederum wissen darüber ziemlich genau Bescheid und wissen auch ziemlich genau, welche Optionen es gibt, um dies zu vermeiden. Zum Beispiel kann man sich bei Geburtsbeginn einen Einlauf verabreichen (lassen). Hierbei wird mit einem kleinen Schlauch ein flüssiges Mittel in den Enddarm geführt, damit dieser sich nach kurzer Zeit möglichst vollständig entleert.
Jede Frau sollte jedoch wissen, dass auch wenn es für sie selbst eine unangenehme Situation darstellt, es für uns Hebammen absolute Normalität ist. Wir denken uns dabei einfach gar nichts, eben weil es immer mal wieder vorkommen kann und daher für uns nichts außergewöhnliches ist.
Aber auch ganz allgemein und generell gesehen kann man sagen, dass man sich als Hebamme gar nicht vieles während einer Geburt denkt. Eine Geburt zu begleiten ist unser Job und in der Regel bleibt einem auch gar nicht viel Zeit, über irgendetwas besonderes nachzudenken. Wichtig ist, dass man jede Frau als Individium betrachtet und möglichst ohne Vorurteile an eine neue, zu begleitende Geburt herangeht. Nur so besteht die Chance, aus einer Geburt für alle Beteiligten einen besonderen Moment zu zaubern.
Emotionales Feuerwerk vs. Routine
Auch wenn jede Geburt etwas von „das kenne ich schon“ hat. Die Routine, die es mit sich bringt. Da herrschen oft die gleichen Abläufe. Das beginnt bei der Aufnahme, geht weiter mit der Betreuung und möglichen Medikamentenvergabe und endet mit der Versorung von Mutter und Kind nach der Geburt. Doch während fast jeder Geburt hat man als Hebamme auch mindestens einmal dieses emotionale Feuerwerk. Dieser Moment voll purem Glück. Ein wahrer Gänsehautmoment gepaart mit Dankbarkeit. Wenn das Baby geboren ist oder aber manchmal auch erst, wenn man sieht, dass aus einem Paar nun Eltern geworden sind. Wenn sich Frau und Mann zum ersten Mal als Mama und Papa anschauen und ihre Gefühle kaum sortiert bekommen. Ja dann, genau in diesen Momenten, kann ich wirklich sagen, dass ich einen der schönsten Berufe auf dieser Welt habe.
Schön!
Was ein wunderschöner Text!!!! Nun freue ich mich noch mehr auf die anstehende Geburt und den ersten Moment, wenn ich meine Kleine sehen darf!
Danke ❤️