Einen Kinderwunsch haben bedeutet, dass man sich ein Kind wünscht. Richtig? Fast richtig. Denn anscheinend gibt es auch so etwas wie einen „unbewussten“ Kinderwunsch. Doch kann man sich ungewollt etwas wünschen? Gibt es immer mehr Paare, die sich ihr Kind nicht offen, sondern nur unterbewusst wünschen? Warum das bei uns vermutlich so war und was psychologisch dahinter steckt.
Unbewusster Kinderwunsch: Nur nicht festlegen
Als ich einige Monate nach der Geburt unseres Babys beim Frauenarzt saß, stieß ich im NEON Magazin auf einen Artikel mit dem Titel „Unverhoffte Empfängnis“. Die Grundthese des Artikels ist folgende: Immer mehr junge Eltern geben nach außen hin vor, sich ihr erstes Kind nicht gewünscht zu haben, sondern zufällig schwanger geworden zu sein. Der Kinderwunsch, so die Theorie sei bei ihnen jedoch sehr wohl vorhanden, nur eben unbewusst gewesen.
Denn in einer Zeit, in der so gut wie alle Entscheidungen im Leben rückgängig zu machen sind, stellt ein Kind die Ausnahme da. Das Baby kann man nicht zurückgeben, wenn man feststellt, dass Eltern sein doch gerade nicht so passt. Wer nun „aus Versehen“ ein Kind bekommen hat, der müsse sich weder vor anderen, noch vor sich selbst für diese Entscheidung rechtfertigen. Auch nicht, wenn sie sich im Nachhinein als Fehler herausstellt.
Um vom unbewussten Kinderwunsch zum Babyglück zu kommen, würden die Eltern eine ganz verrückte Strategie anwenden: sie nehmen Verhütungsfehler nicht so genau. D.h. sie vergessen entweder häufig die Pille, oder verhüten nicht zusätzlich, obwohl sie wissen, dass es nötig wäre. Wenn es dann passiert ist, sind sie selbst überrascht – obwohl sie es eigentlich hätten wissen können.
Haben wir uns unbewusst ein Kind gewünscht?
Nachdem ich ganz unvoreingenommen angefangen hatte, zu lesen, fühlte ich mich mehr und mehr ertappt, je mehr ich las. Denn tatsächlich hatten mein Mann und ich nie offen darüber gesprochen, dass für uns der richtige Zeitpunkt gekommen war. Ich hatte schon Jahre vorher die Pille abgesetzt und wir hatten sehr erfolgreich mit der hormonfreien Verhütungsmethode NFP verhütet. Doch etwa 3-4 Monate vor dem positiven Test hatten wir einfach aufgehört, darauf zu achten. Keiner von uns hatte das Bedürfnis, darüber zu sprechen.
Offiziell waren wir der Meinung, dass ich wegen einer recht dünnen Gebärmutterschleimhaut – eine Gynäkologin hatte mir die Jahre zuvor diagnostiziert – ohnehin so schnell nicht schwanger werden könnte. Innerlich, denke ich, wussten wir aber beide sehr wohl, dass das früher oder später zu einer Schwangerschaft führen würde. Natürlich gehört dazu auch die stillschweigende Übereinkunft, dass wir ein Kind möchten.
Warum nicht darüber sprechen?
Warum haben wir das so gemacht? Der für uns schlimmste vorstellbare Fall im Bezug auf Kinderwunsch war wohl, dass wir uns beide bewusst und sehnlichst ein Kind wünschen, aber es nicht klappt. Freunde und Familien würden nachfragen und wir müssten immer wieder der harten Realität ins Auge sehen. Den Druck, der sich dadurch aufbaut, stelle ich mir immens groß vor. Und wenn es denn dann endlich geklappt hätte, wären alle Arten von Klagen natürlich unangebracht. Immerhin hatten wir es ja so sehr gewollt.
Um diesem Druck, egal ob von außen oder von innen, zu entgehen, muss man sich allerdings einigermaßen erfolgreich selbst in die Tasche lügen können. Dazu ist es unter anderem gut, Dinge, die unterbewusst bleiben sollen, auch nicht anzusprechen, ja nicht einmal zu denken. Denn sobald etwas ausgesprochen wurde, so meine Erfahrung, wird es auch ein Stück weit Realität.
Für uns war, im Nachhinein betrachtet, die oben beschriebene Vorgehensweise so viel angenehmer als ein offener Kinderwunsch. Das Gefühl zu haben, zufällig schwanger geworden zu sein, erleichterte uns diesen Schritt enorm. Nie mussten wir uns ernsthaft den Kopf zerbrechen oder nächtelang darüber rätseln, ob jetzt wirklich der richtige Zeitpunkt gekommen war. Denn den gibt es dann eigentlich ohnehin nie. Im Nachhinein gibt es kein „Hätten-wir-besser-nicht“ oder „Was-wenn-wir-anders-entschieden-hätten“.
Kinderwunsch: je stressfreier, desto besser
Unsere Herangehensweise an die Familiengründung wird in der Theorie als unbewusster Kinderwunsch bezeichnet und in dem Artikel als ein wenig feige dargestellt. Wir drücken uns vor der bewussten Entscheidung, um uns nicht festlegen zu müssen. Um nicht verantwortlich zu sein, um nachweislich den Fehler nicht selbst begangen zu haben. Ich würde es dennoch immer wieder so machen und finde, das hat auch seine Berechtigung.
Wenn sich ein Paar ein Kind wünscht, ist das eigentlich etwas sehr schönes. Die Zeit sollte mit Vorfreude, magischen Momenten und Hoffnung gefüllt sein. Nicht mit Stress, Ängsten und Selbstzweifeln. Wenn jemand, so wie wir, also nicht bereit ist, sich dem möglichen Druck von innen und außen auszusetzen, was ist schlimm daran, den unbewussten Kinderwunsch auch unbewusst zu lassen? Wir lieben unser Kind heute nicht weniger, als wenn wir ihn uns monate- oder jahrelang gewünscht hätten. Und wir zeigen auch nicht weniger Verantwortung oder bereuen, dass es passiert ist.