Es ist – da sind sich alle Menschen einig – mit das Schlimmste, was Eltern passieren kann: Ihr eigenes Kind zu verlieren. Und obwohl sich in diesem Punkt eigentlich alle einig sind, begegnen mir in meinem beruflichen Alltag oft Frauen oder Paare, die nach einer Fehlgeburt das Gefühl haben, mit ihrer Trauer und ihrem Schmerz völlig alleine dazustehen. Weil sie ja „eigentlich“ gar nicht wirklich ein Kind verloren haben. Die von jeher schwierige Situation, eine Fehlgeburt verarbeiten, wird in der jetzigen Zeit, mit den Einschränkungen, die die Corona-Pandemie so mit sich bringt, noch um ein Vielfaches schwerer.
Ich möchte mich mit diesem Artikel heute an alle betroffenen Familien wenden, um ihnen zu sagen, dass sie nicht alleine sind mit ihren Gefühlen – und dass sie ein Recht darauf haben.
Aber ich möchte mich auch an Angehörige wenden, Freunde, Nachbarn, Bekannte…. alle, die eine solche Nachricht von jemandem erhalten haben und unsicher sind, wie sie – gerade zu Corona- und Lockdown-Zeiten – auf das Thema Fehlgeburt reagieren sollen.
Wenn Du Dich also angesprochen fühlst, lies gerne weiter.
Triggerwarnung: Wenn Du selbst gerade schwanger bist – glücklich schwanger – und nicht betroffen und auch nicht indirekt mit dem Thema Fehlgeburt zu Corona-Zeiten konfrontiert, ist dies vielleicht nicht der richtige Beitrag für Dich.
Was bei einer Fehlgeburt (Abort) passiert
Ganz grob zunächst einmal zur Begrifflichkeit: Von einer „Fehlgeburt“ spricht man in der Medizin – ganz einfach formuliert – wenn ein Embryo oder Fötus vor Erreichen der Lebensfähigkeit geboren wird.
Hierbei wird nochmal zwischen einem Frühabort bis zur 12. SSW und einem Spätabort zwischen der 12. und 23.SSW oder bis zu einem Gewicht von 500g unterschieden. Hat die Schwangerschaft die 24. SSW erreicht, wäre das Kind theoretisch lebensfähig gewesen und man spricht dann bereits von einer Totgeburt.
Diese Unterscheidung mache ich an dieser Stelle nur zur Erklärung der Begrifflichkeiten, die ich im Laufe des Artikels noch einmal verwende. Sie enthält aber keinerlei Wertung darüber, was „schlimmer“ ist.
Allerdings möchte ich mich heute vor allem dem Thema frühe Fehlgeburt widmen, da gerade diese Frauen sowieso schon relativ wenig Gehör finden. Und in der Corona-Situation in meinen Augen ganz besonders leiden. Wenn eine frühe Fehlgeburt im Lockdown unter Kontaktbeschränkungen oder gar in Quarantäne stattfindet, kann das tatsächlich eine besondere Belastung für die betroffenen Familien darstellen.
Welche Arten von frühen Fehlgeburten gibt es?
Im Grunde unterscheiden sich vor allem zwei unterschiedliche Arten von Fehlgeburten im frühen Schwangerschaftsstadium der ersten 12 Wochen:
1. Spontaner Abort
Bei einer spontanen Fehlgeburt wird die Schwangerschaft durch eine Blutung beendet. Das Gewebe von Mutterkuchen und Kind wird entweder komplett vom Körper ausgestoßen oder es verbleiben noch Reste in der Gebärmutter, die mit einer Ausschabung (Cürettage) entfernt werden müssen.
2. Missed Abortion
Bei dieser Form der Fehlgeburt merkt die Frau häufig gar nichts. Bei einer Untersuchung beim Frauenarzt wird dann festgestellt, dass das Herz nicht (mehr) schlägt. Die eigentliche Fehlgeburt wird dann entweder mit Hilfe von Tabletten eingeleitet oder es wird ebenfalls eine Ausschabung gemacht.
Lies hier mehr über die Diagnose Missed Abortion.
Fehlgeburt verarbeiten im Lockdown: Familien trauern alleine
Inzwischen wissen wir alle, dass unsere Regierung bei der Bekämpfung der Pandemie in erster Linie auf Kontaktbeschränkungen setzt.
Das heißt, Du hast vielleicht gemerkt, dass Du schwanger bist, und Du konntest es mit niemandem außer Deinem Mann im persönlichen Gespräch teilen.
Vielleicht hättest Du Deiner Schwester, der besten Freundin, der liebsten Kollegin oder sonst jemandem beim Kaffeklatsch oder beim Plausch im Büroflur von diesem süßen Geheimnis erzählt. Du hättest vielleicht fassungslos und mit leuchtenden Augen Deinen Schwangerschaftstest herausgeholt und ihn Deinen Eltern, Schwiegereltern oder sogar der Oma hingestreckt. Du hättest vielleicht ein Ultraschallbild neben den Kuchenteller gepackt und gewartet.
All diese kleinen Aktionen hätten dafür gesorgt, daß Deine oder Eure (Vor-) Freude auch die Vorfreude von anderen Menschen in Deinem Umfeld wird.
Dein „Baby“ – und wenn es noch so klein war – wäre für einige Menschen in Deinem Umfeld wirklich „da“ gewesen.
Und diese Menschen hätten ebenfalls eine Trauer oder Enttäuschung gespürt, wenn sie erfahren, dass Dein Baby nicht auf die Welt kommen wird.
Durch Corona hat niemand die Schwangerschaft bemerkt
Die Pandemie, die eingeschränkten Kontakte und das „Social Distancing“ machen es leichter, eine Schwangerschaft in der ersten „kritischen“ Phase für sich zu behalten. In den ersten 12 Wochen „kann ja auch immer was passieren, besser erzählen wir es gar nicht“. Im normalen Alltag würde es trotzdem auffallen.
Deine Kollegin hätte vielleicht gemerkt, dass Du keinen Kaffee mehr magst. Deinen Freundinnen wäre aufgefallen, dass Du beim Mädelstreff immer fahren und den alkoholfreien Cocktail trinken möchtest. Deine Mutter hätte gemerkt, daß Du blass und trotzdem nicht wirklich krank wirkst.
Wie soll man eine Fehlgeburt verarbeiten, wenn die Schwangerschaft nie wirklich real war?
All diese Dinge fallen in einem Telefonat oder in einem Video-Call nicht so auf. Und das führt dazu, dass diese Schwangerschaft für niemanden außer Deinem Partner und Dir wirklich „da“ war. Wenn Du dann erzählen musst, dass Du die Schwangerschaft nicht austragen konntest, wird das bei vielen Menschen in Deinem Umfeld wahrscheinlich Betroffenheit auslösen. Aber wenn sie Dich dann wiedersehen, hat sich eigentlich nicht wirklich etwas in ihrer Wahrnehmung oder Empfindung verändert.
Du warst nicht schwanger, als sie Dich das letzte Mal gesehen haben und Du bist nicht schwanger, wenn sie Dich wiedersehen. Und so wird es für manche Leute vielleicht relativ schnell so sein wie vorher, auch wenn es das für Dich nicht ist.
Hinzu kommt, dass natürlich neben den sozialen Kontakten auch viele andere Möglichkeiten, sich abzulenken, Kraft zu tanken und positive Energie zu gewinnen, im Moment wegfallen. Ein paar Bahnen im Schwimmbad ziehen, ein Kinoabend mit Deinem Mann oder beim Lieblingsitaliener eine Riesenpizza essen gehen kann den Verlust natürlich nicht mindern, aber es kann der Seele gut tun und helfen, dass sie heilen kann.
Fehlgeburt verarbeiten zu Corona-Zeiten: Was Du tun kannst, um mit der Trauer zurecht zu kommen
So gerne würde ich hier einen Tipp geben, der die pauschale Lösung für alle Frauen und Paare in dieser schweren Situation ist und jedem hilft. Es wird Dich nicht überraschen, was ich jetzt sage: Ich habe ihn leider nicht, diesen ultimativen Tipp.
Im Rahmen der Vorbereitung auf diesen Artikel bin ich auf den Erfahrungsbericht einer betroffenen Frau gestoßen, die virtuell in Foren und Communitys Geschichten von Frauen fand, die Ähnliches durchgemacht hatten und mit denen sie sich austauschen konnte.
Schaffe Dir Kraft-Inseln
Wie gesagt denke ich aber, dass es keine Ultimativlösung gibt, weil jeder Kraft aus anderen Dingen schöpft. Und das ist das Wichtigste: Du brauchst Kraft, positive Energie, Zuversicht.
Das ist für die eine Frau durch ein Gespräch mit einer Freundin möglich, bei der anderen bewirkt eher der Austausch mit anderen betroffenen Frauen etwas.
Für die eine kann Musizieren heilend wirken, für die andere eher Joggen oder die Natur.
Wichtig ist, dass Du gerade in dieser verrückten Zeit Deine Inseln findest, auf denen Du Zuversicht und Kraft tanken, oder einfach auch einmal weinen kannst.
Ein Gespräch mit Deinem Frauenarzt/-ärztin kann ebenfalls hilfreich sein, um das Geschehene besser einzuordnen. Viele Frauen fühlen sich mit ihrer frühen Fehlgeburt sehr alleine, weil sie auch gar nicht wissen, WIE vielen Frauen das tatsächlich passiert. Und dass das nicht bedeutet, dass es wieder passiert.
Anspruch auf Hebammenhilfe hilft beim Fehlgeburt verarbeiten
Ich habe es bereits in einem früheren Artikel einmal erwähnt: Auch bei einer (frühen) Fehlgeburt hast Du Anspruch auf Hebammenhilfe. Sowohl bei der tatsächlichen Fehlgeburt, als auch danach.
Manchen Frauen hilft es auch, ihrem nicht geborenen Baby einen Brief zu schreiben oder die kleinen Erinnerungen, die es vielleicht gab, festzuhalten. So kannst Du Dir selbst auch deutlich machen, dass Dein Baby „da“ war und dass es einen Grund gibt, traurig zu sein. Dass es ok ist und vielleicht auch noch eine sehr lange Zeit so sein wird.
Wann kannst Du nach einer Fehlgeburt wieder schwanger werden?
Früher hieß es, dass man nach einer Ausschabung am besten 3-6 Monate warten soll. Das sehen heute die meisten Frauenärzte als nicht mehr zeitgemäß, weil die Techniken, mit der eine Ausschabung heute gemacht wird, viel sanfter sind als früher. Nach einer Cürettage würde ich dazu raten, die nächste Periode abzuwarten und frühestens danach wieder „loszulegen“. Wenn Du eine spontane Fehlgeburt hattest, kannst Du theoretisch im nächsten Zyklus wieder schwanger werden.
ABER: Bitte unterschätze nicht die psychische Komponente. Nimm Dir Zeit, um zu trauern, um das, was Du nicht hattest. Erst, wenn Du das Gefühl hast, Du konntest das in irgendeiner Form „abschließen“, dann bist Du in meinen Augen bereit für eine erneute Schwangerschaft. Frauen, die sofort wieder schwanger werden, haben oftmals mit großen Ängsten zu kämpfen, die nicht selten auch über den Zeitpunkt der vorausgegangenen Fehlgeburt hinaus gehen. Das wiederum ist eine große Belastung für eine eigentlich glückliche Schwangerschaft und muss vielleicht nicht sein, wenn Du Dir genug Zeit zum Trauern gibst und die Fehlgeburt verarbeiten konntest.
Fehlgeburt verarbeiten: Tipps für Außenstehende
Je nachdem, wie eng die Verbindung zu der betroffenen Familie ist, passt der ein oder andere Tipp zum Thema Fehlgeburt verarbeiten zu Corona-Zeiten vielleicht besser oder weniger gut.
Sei Ansprechbar
Wenn Du es Dir zutraust und selbst damit zurecht kommst, ist es gut, mit der betroffenen Familie im Gespräch zu bleiben. Hör zu, meistens reicht das schon.
Sende kleine Gesten
Eine Blume, eine Sprachnachricht, eine liebe Karte. All diese kleinen Aufmerksamkeiten, die sagen „ich denke an Dich bzw. Euch“.
Versuche, nicht zu vergessen
Auch bei frühen Fehlgeburten trauern die betroffenen Familien oft lange Zeit. So kann es eine schöne Idee sein, um den Entbindungstermin herum für die Familie da zu sein. Und zu zeigen, dass das kleine Leben, das leider nur so kurz da war, trotzdem nicht vergessen ist.
Verzichte auf gut gemeinte Ratschläge oder Plattitüden
„Wer weiß, wofür es gut ist“, „Du bist so jung, beim nächsten Mal klappt’s bestimmt“ oder auch „Du hast ja schon eins, da ist das ja nicht ganz so schlimm“ Solche Aussagen sind bestimmt nicht böse gemeint, helfen aber zumeist kein bisschen. Meistens entstehen sie aus der eigenen Unsicherheit heraus und weil man das Gefühl hat, irgend etwas sagen zu müssen. Ich denke aber, dass es in einer solchen Situation ehrlicher und auch hilfreicher ist, einfach zu dieser eigenen Hilflosigkeit zu stehen und zu sagen, dass man nichts sagen oder tun kann, um es besser zu machen – aber dass man einfach da sein möchte.
Fehlgeburt verarbeiten: Ein paar Worte zum Schluss
In meiner Arbeit habe ich die Erfahrung gemacht, dass Frauen sehr unterschiedlich mit Fehlgeburten umgehen.
Das Spektrum an Gefühlen ist breit, von Trauer, über Scham, Angst und Verdrängung ist alles dabei. Und alles ist „normal“, hat eine Berechtigung und ist weder „gut“ noch „schlecht“.
Wichtig ist, dass Du ehrlich bist, zu Dir und Deinem Umfeld und offen sagst, wie es Dir wirklich geht.
Wenn Du Hilfe brauchst, wende Dich an Deinen Frauenarzt, eine Hebamme oder informiere Dich im Internet über Selbsthilfegruppen oder Anlaufstellen für verwaiste Eltern (z.b. Initiative Regenbogen Glücklose Schwangerschaft e.V.).
Es ist völlig in Ordnung, traurig zu sein und ein Kind zu vermissen, das Du gar nicht richtig kennenlernen durftest. Und gerade jetzt, zu Coronazeiten, ist es doppelt schwer, weil Du Dich vielleicht noch mehr alleingelassen fühlst.
Aber Du bist nicht alleine. Und Du bist nicht schuld.
Diese Schwangerschaft hat vielleicht eine Wunde verursacht, die lange nicht heilt, vielleicht wird auch immer eine Narbe bleiben. Aber auf jeden Fall wird es besser werden, vielleicht nicht heute oder morgen, aber irgendwann.
Lies hier weitere Tipps zum Thema „Trost bei Fehlgeburt“ für Freunde und Angehörige.
Danke für Deinen einfühlsamen Beitrag, liebe Christina!
Was Du aus Deiner Erfahrung hier schreibst, hilft mir gerade sehr beim Einordnen meiner Gefühle. Denn ich suche nach Worten für das, was ich empfinde. Ich hatte vor zwei Wochen eine missed Abortion. Nach der Diagnose habe ich mir zuhause etwas Raum verschafft, um die neue Situation zu verstehen. Die „Kleine Geburt“ hat sich nach ein paar Tagen dann ganz natürlich ereignet, was mir persönlich sehr geholfen hat. Körperlich geht es mir gut. Emotional geht es auf und ab, zwischen tapfer weitermachen und trauriger Verzweiflung.
Dabei ist es nicht nur die physische Anwesenheit, die beendet wurde, sondern auch das Revidieren der Freude, der Ideen und gedanklichen Vorbereitung auf die Erfüllung eines Wunsches von mir. Diese Mischung ist echt abgefahren und eine Aufgabe. Ich hoffe sehr, dass mit der hormonellen Umstellung, die in vollem Gang ist, auch meine Lebensfreude wiederkehrt.
Und es stimmt, ich bin von Frauen umgeben, denen es auch so erging. Mich zu verabreden, schaffe ich auch ohne Lockdown zurzeit noch nicht. Doch das darüber reden am Telefon, das hilft.
✨ Danke ✨
Liebe Nadine, ganz lieben Dank für dieses Feedback. Es bedeutet mir wirklich etwas, wenn eine betroffene Frau es so empfindet und sich gesehen und angesprochen fühlt. Alles, alles Gute!
Vielen Dank für diesen großartigen Artikel!
Aus eigener Erfahrung (14.05.💫) ihr seid nicht alleine- sprecht darüber. Es hilft!
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