Normalerweise bin ich recht entspannt, was die Entwicklung von Kindern angeht. Jedes Kind hat seinen eigenen Bauplan, sein eigenes Tempo. Gras wächst ja bekanntlich nicht schneller, wenn man daran zieht. Beim Thema „Late Talker“ ist das etwas anders: Dein Kind mit 18 Monaten spricht nicht oder nur sehr eingeschränkt? Dann kann es sein, dass es zu den Kindern gehört, die im Bereich der Sprachentwicklung Schwierigkeiten haben. Das trifft auf jedes fünfte bis zehnte Kleinkind in Deutschland zu. Hier gilt: Je früher das Problem erkannt wird, desto besser können wir unseren Kindern helfen und lebenslange Probleme vermeiden. Darum solltest Du bei Auffälligkeiten nicht einfach mit den Schultern zucken, sondern der Sache nachgehen. Wie Du erkennst, ob Dein Kind ein Late Talker ist und wie Du damit am besten umgehst, erkläre ich Dir jetzt.
Wann sind Kinder Late Talker – Definition & Symptome
Definition
Late Talker bedeutet übersetzt „Späte Sprecher“. Es handelt sich also um Kinder, die später als andere zu sprechen anfangen, ansonsten aber altersgerecht entwickelt sind. Der Definition nach gilt ein Kind als Late Talker, wenn es im Alter von 24 Monaten weniger als 50 Wörter beherrscht oder keine Zweiwort-Sätze bilden kann. Das betrifft geschätzt bis zu 20% aller Zweijährigen. Während sich etwa ein Drittel davon auch ohne logopädische Förderung gut weiter entwickelt und die Sprachentwicklungsverzögerung bis zum 3. Geburtstag aufholen kann, brauchen viele der Kinder logopädische Unterstützung.
Streng genommen spricht man von Late Talkern nur bei Kindern im Alter von bis zu 3 Jahren. Danach handelt es sich um eine Sprachentwicklungsstörung bzw. Sprachauffälligkeit. Wenn Dein Kind mit 4 Jahren immer noch nicht spricht, ist es also kein Late Talker mehr, sondern es liegt eine Entwicklungsverzögerung vor, die natürlich vom Kinderarzt abgeklärt werden muss.
Diagnostik
Einige Late Talker haben zusätzlich Schwierigkeiten mit dem Verstehen von Sprache; viele Late Talker können aber sehr gut verstehen, was mit ihnen gesprochen wird. „Mein Kind mit 2 Jahren spricht nicht, versteht aber alles,“ schließt also nicht aus, dass Dein Kind ein Late Talker ist.
Gibt es einen Test, um herauszufinden, ob mein Kind ein Late Talker ist?
Einen offiziellen Late-Talker-Test gibt es nicht. Die Früherkennung erfolgt mit der U7-Untersuchung, die um den 2. Geburtstag herum stattfindet. Wenn Ihr diese schon hinter Euch habt, kennst Du Den Wortschatz-Fragebogen zum ankreuzen, den Du für Dein Kind ausfüllen sollst. Denn ad hoc können die wenigsten Eltern sicher sagen, wie viele Wörter ihr Kind genau beherrscht bzw. ob es sich dabei um mehr als 50 Wörter handelt.
Um sicher zu gehen, dass es sich um einen Late Talker handelt, werden bei der weiteren Diagnostik andere Ursachen wie eine Störung des Hörvermögens oder verminderte Intelligenz ausgeschlossen.
Tipp: Zweitmeinung einholen
Leider nehmen nicht alle Ärzte die Bedenken der Eltern wirklich ernst und raten dazu, erst einmal abzuwarten. Viele Kinder bekommen erst mit 5 Jahren logopädische Hilfe. Dabei ist Acquisition und Entwicklung von Sprache ein ungemein wichtiger und sensibler Prozess, der im Kleinkindalter abläuft und später nicht nachzuholen ist. Wenn Du Dir als Elternteil also Sorgen machst, kannst Du auch selbst eine Diagnostik in die Wege leiten. Das sind lediglich Gespräche und Beobachtungen, also harmlose Untersuchungen. Hör hier wirklich auf Dein Bauchgefühl und zieh lieber einmal zu oft als zu wenig einen Experten zurate.
Late Talker: Symptome
Auf folgende Symptome und Verhaltensweisen bei Late Talkern kannst Du bei Deinem Kind achten und sie dann auch beim Arzt ansprechen:
- Dein Kind reagiert nicht auf leise Ansprache oder Geräusche (10-12 Monate)
- Lautproduktion und Brabbeln verringert sich (12 Monate)
- Kind macht keine Silbenketten wie bababa, dadada (12 Monate)
- reines Funktionsspiel (auf-zu /ein-ausladen), kein echtes Spiel (18 Monate)
- weniger als 50 Wörter im Alter von 24 Monaten
- keine Zweiwort-Sätze mit 24 Monaten
- weniger als 100 Wörter mit 30 Monaten
- Kind nimmt kaum Blickkontakt auf
- Schwierigkeiten, mit anderen zu spielen
- Dein Kind beißt andere Kinder
- falsche Sprache (Satzbau, Artikelverwendung, nur Grundformen)
- Dein Kind mit 3 Jahren spricht nicht, nur wenig oder schwer verständlich
- Dein Kind mit 4 Jahren spricht nicht altersentsprechend (Satzbau, Wortschatz, Aussprache)
Mehr über die altersgemäße Sprachentwicklung bei Kleinkindern kannst Du hier nachlesen.
Late Talker: Ursachen und Folgen des späten Sprachbeginns
Das erste, was wir Eltern machen, ist ja immer, die Schuld bei uns zu suchen. Leider ist das nicht so einfach, denn die genauen Ursachen für diese Entwicklungsverzögerung sind nicht bekannt. Warum genau Dein Kind ein Late Talker ist, kann Dir aktuell also niemand sagen (sofern beispielsweise Gehörschäden oder psychische Probleme ausgeschlossen werden können).
Vermutet wird unter anderem eine genetische Veranlagung. In jedem Fall bezieht sich das kognitive Problem ausschließlich auf die Verarbeitung von Sprache: Late Talker-Kinder sind nicht mehr oder weniger intelligent als andere. Einen Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen Late Talker und Hochbegabung wird manchmal vermutet – konnte ich bei meiner Recherche nicht finden.
Allerdings sind Kinder aus schwierigen sozialen Verhältnissen stärker gefährdet, weil sie seltener eine sprachfreundliche Umgebung vorfinden. Genauso wie Kinder, deren Bezugspersonen ebenfalls sprachliche Probleme haben oder die nur schwer mit anderen in Kontakt treten können.
Lebenslange Folgen möglich
Etwa 30% der Late Talker Kinder würden auch ohne Therapie eine mehr oder weniger normale sprachliche Entwicklung durchlaufen. Allerdings weißt Du vorab ja nicht, ob Dein Kind dazu gehört oder ob es professionelle Unterstützung braucht. Denn ohne diese drohen mögliche Spätfolgen. Dazu gehört zum Beispiel:
- Satzbaustörungen
- Artikulationsfehler
- Textverständnisförderungen
- Wortfindungsstörungen
- eingeschränkte Fähigkeit, Geschichten zu erzählen
- langsame Lesefähigkeit
- viele Rechtschreibfehler
- Fremdspracherwerb erschwert
- wenig vielfältiger Wortschatz
- Probleme in Mathematik
Late Talker – Therapie und Hilfe
Das ist jetzt aber kein Grund, in Panik zu verfallen. Wenn Dein Kind mit 2 Jahren noch nicht spricht, bedeutet nicht unweigerlich, dass es später schulische Probleme haben wird! Bei vielen der früh diagnostizierten Late-Talker-Kinder reicht eine intensive Anleitung der Eltern zu sprachförderlichem Verhalten (Heidelberger Elterntraining) aus. Einige aber benötigen professionelle Hilfe durch logopädisches Training (Therapie nach Zollinger oder die neue Late Talker Therapie). Dabei kommen Kinder einmal die Woche zur Therapie, wo sie mit der Therapeut:in Sprachspiele spielen. Natürlich gibt es auch dabei Elternberatung und -training.
Mit der richtigen Therapie sprechen Late Talker im Kindergartenalter normal
Die gute Nachricht: Die meisten der Late-Talker-Kinder holen die Sprachentwicklung mit der richtigen Unterstützung auf, viele sogar bereits zum 3. Geburtstag. Fachleute sprechen hier von den sogenannten „Late Bloomern“. Bei nur etwa 10% der Late Talker handelt es sich um eine echte Sprachentwicklungsstörung, die auch mit Therapie nicht vollständig behoben (aber verbessert!) werden kann.
Late Talker fördern: So kannst Du Deinem Kind helfen
Sicherlich fragst Du Dich jetzt, wie Du Deinem Kind beim Sprechen lernen helfen kannst. Also, was Du als Elternteil konkret mit Deinem Kind üben kannst. Wichtig ist es, ausreichend Sprachanlässe im Alltag zu schaffen.
Sprachförderung im Alltag
Solche Anlässe zur spielerischen Sprachförderung können zum Beispiel sein:
- gemeinsam essen (Handy und Fernseher aus!)
- einkaufen gehen
- vorlesen oder Bücher anschauen
- gemeinsam spielen
- gemeinsam singen
Nimm Dir also Zeit für Dein Kleinkind – nicht, um spezielle Übungen zu machen, sondern um zu kommunizieren. Lass das Smartphone tagsüber aus und sprich stattdessen auch in Ruhe- oder Wartezeiten.
Vorbild sein anstatt verbessern
Wichtig ist dabei, dass Du nicht nur vorsprichst, sondern auch Pausen machst, damit Dein Kind in Ruhe sprechen kann. Dann kannst Du (fehlerhafte) Äußerungen des Kindes aufgreifen und vervollständigen bzw. korrekt wiederholen.
Verbessere oder korrigiere Dein Kind aber lieber nicht, wenn es ein Wort falsch ausspricht – das kann seine Freude am Sprechen hemmen, weil es das Gefühl vermittelt bekommt, einen Fehler gemacht zu haben. Dein Kind lernt am besten durch Nachahmung – wiederhole das Wort also einfach noch einmal deutlich in der korrekten Aussprache, damit Dein Kind es richtig abspeichern kann.
Keinen Druck ausüben
Übrigens solltest Du nonverbale Kommunikation durch Gesten oder Handlungen nicht verbieten oder ignorieren. Manchmal würde man ein Late-Talker-Kind auf diese Weise gerne zum sprechen „zwingen“. Allerdings führt Zwang fast immer zu Ablehnung – und funktionierende Kommunikation ist für die kindliche Entwicklung auch unabhängig von Sprache wichtig.
Vergiss nicht, auch andere Bezugspersonen und Betreuungseinrichtungen zu informieren und mit einzubeziehen. Vor allem, wenn Dein Kind viel Zeit in Krippe oder Kindergarten verbringt, sollte es auch dort ausreichend unterstützt werden.
Mehr Infos dazu findest Du hier.