Ein sehr großer Teil meiner Hebammenarbeit in der Zeit nach der Geburt beschäftigt sich mit dem Stillen und der Ernährung des neuen kleinen Erdenbürgers. Und obwohl viele Frauen wirklich gut informiert in die Stillzeit starten, es massig Literatur und sogar Stillkurse zur Vorbereitung gibt, ist die Verunsicherung – gerade beim ersten Kind – groß.
Und dann tauchen plötzlich von allen Seiten vermeintliche Stillexperten auf, die durch (leider häufig auch noch falsches) Halbwissen die Verunsicherung verstärken, Angst schüren und meine Arbeit als Hebamme noch schwerer machen.
Dieser Artikel richtet sich an all die Freunde, Verwandten und Bekannten, die auf frisch gebackene stillende Mütter treffen. Überleg Dir gut, was Du sagst, wie Du es formulierst und auch warum Du das sagen solltest, was Du sagen möchtest.
Drei Fragen, die Du NIEMALS stellen solltest, möchte ich Dir heute schon einmal direkt mit auf den Weg geben.
„Willst Du etwa schon wieder stillen?“
Seit 15 Jahren rede ich mir den Mund darüber fusselig, dass ein Stillkind selbst entscheiden sollte, wann, wie lange und wie oft es trinkt.
Stillen nach Bedarf ist, gerade was den Erhalt und die Steigerung der Milchmenge angeht, existentiell wichtig. Denn Stillen bedeutet Angebot und Nachfrage.
Vor allem in den ersten Tagen, bevor die Milch einschiesst, ist das Anlegen zur Milchbildung unerlässlich. Denn die Brust braucht ja die Information, wann genau dieses Kind wie oft und welche Menge trinkt, um die optimale Milchmenge produzieren zu können.
Der häufig gehörte Satz: „Ich wollte ja stillen, aber ich hatte nicht genug Milch“, ist nicht selten dem Umstand geschuldet, dass jemand, der es nicht besser weiss, einer jungen Mama vermittelt, es sei nicht „normal“, dass ein Baby so oft trinkt.
Und das ist schlichtweg falsch.
Auch in Wachstumsphasen oder während des so genannten Clusterfeedings trinken Babys oft sehr häufig und das ist gut so und völlig normal.
„Warum gibst Du nicht mal eine Flasche?“
Ganz oft denken Angehörige, es sei für die Mutter leichter, eine Milchmahlzeit durch Tee zu ersetzen oder auch statt der Brust „eben mal“ eine Flasche zu geben.
Nun, wenn Du den vorausgegangenen Absatz gelesen hast, dann weißt Du ja schon, dass das Ersetzen einer Stillmahlzeit durch die Flasche bestimmte Probleme mit sich bringt.
Jedes Mal, wenn das voll gestillte Baby nicht an der Brust trinkt, fehlt der Brust die Information darüber, dass hier eigentlich gerade jemand Hunger oder Durst hat. Und ohne diese Information wird die Brust (gerade am Anfang) Schwierigkeiten bekommen, die benötigte Milchmenge zu produzieren.
Hinzu kommt, dass Babys, die frühzeitig die Flasche angeboten bekommen, eventuell das korrekte Trinken an der Brust „verlernen“ könnten – man spricht dabei von einer so genannten Saugverwirrung.
Und ein Punkt, der ebenfalls oft vergessen wird, ist die Tatsache, dass die Milch, die das Baby aufgrund der ersetzten Mahlzeit nicht aus der Brust holt, ja auch irgendwie raus muss.
Ist zu dem Zeitpunkt die Stillbeziehung nämlich schon gut eingespielt, wird ja so viel Milch produziert, wie normalerweise aus der Brust herausgeholt wird.
Das bedeutet für die Mama, dass sie, wenn sie nicht Gefahr laufen möchte, einen Milchstau zu bekommen, die Brust durch Abpumpen oder Ausstreichen entleeren muss und somit eigentlich nichts gewinnt.
Zusätzliche Flüssigkeit in Form von Wasser oder Tee benötigt ein voll gestilltes Kind im Übrigen auch im Sommer nicht. Gerade bei kleinen Säuglingen oder Babys mit einem tendenziell eher niedrigen Gewicht, wird durch die Flüssigkeit der Magen unnötig gefüllt, ohne wichtig benötigte Kalorien und Nährstoffe zu liefern.
„Willst Du nicht mal langsam abstillen?“
In vielen Köpfen ist, warum auch immer, verankert, dass ein Baby ein halbes Jahr gestillt wird, dann Beikost bekommt und spätestens dazu dann ein Fläschchen. Zu dieser weit verbreiteten Annahme möchte ich gerne folgendes sagen:
Ein Baby im ersten Lebensjahr ist ein Säugling, d.h. den Löwenanteil seiner Nährstoffe darf und soll er aus (Mutter)Milch beziehen.
Auch zur Allergieprophylaxe oder um Wohlstandserkrankungen wie z.B. Übergewicht oder Diabetes Typ 1 vorzubeugen, ist Stillen auch weit über das erste halbe Lebensjahr hinaus nach wie vor die beste Lösung.
Inzwischen weiß man, dass das Einführen potenziell allergener Lebensmittel (wie z. B. Milch, Nüsse, bestimmte Obstsorten) parallel zur Muttermilchernährung das Sinnvollste ist. Das ist im Übrigen auch ein Grund für die häufig von Kinderärzten ausgesprochene Empfehlung, mit der Beikost ab dem 4. Monat anzufangen, obwohl die allermeisten Babys in diesem Alter in keiner Weise die Beikostreife besitzen.
Da aber viele Frauen maximal 6 Monate stillen, erhofft man sich so auch einen Überlappungszeitraum, in dem Muttermilch und erste Lebensmittel zeitgleich gegeben werden.
Ansonsten bin ich der Meinung, dass genau zwei Menschen zu entscheiden haben, wie lange ihre Stillbeziehung dauern soll: Die Mutter und ihr Baby.
Und so lange es für diese beiden passt, ist doch alles wunderbar. „Zu lange“ stillen geht – rein medizinisch betrachtet – eh nicht ;-)
Was Du stattdessen fragen könntest
Ich denke, dass viele verletzende, verunsichernde oder vielleicht auch als übergriffig empfundene Fragen und Kommentare gar nicht böse gemeint sind. Sondern einfach aus Unwissenheit entstehen oder auch aus dem Wunsch heraus, eigentlich helfen zu wollen.
Wenn Du also helfen möchtest, kannst Du das – nur eben nicht, indem Du ein Fläschchen oder vermeintlich gute Ratschläge verteilst.
Was Du stattdessen Gutes tun kannst – Frag doch einfach mal:
- Kann ich Dir was zu Essen bringen?
- Möchtest Du etwas trinken?
- Ist es bequem so für Euch?
- Möchtest Du zum Stillen woanders hingehen?
- Brauchst Du noch etwas?
- Hast Du schon mal mit Deiner Hebamme über diese Sorge/dieses Problem gesprochen?
Stillen ist etwas Intimes, Besonderes, Anstrengendes und gerade beim ersten Kind auch mit vielen Unsicherheiten Behaftetes.
Stillende Mütter sind leicht zu verunsichern und können mitunter auch auf gut gemeinte Tipps sehr empfindlich oder verletzt reagieren.
Also sei im Umgang mit ihnen ein wenig feinfühlig und überleg lieber einmal zu oft, ob die Mama und ihr Baby von dem, was Du sagen möchtest, wirklich profitieren.
Falls Du Dich als Mama selbst unsicher fühlst, Fragen zum Stillen hast oder Unterstützung benötigst, sind Hebammen, Laktationsberaterinnen oder Stilltreffs die besten Adressen.
In schwierigen Phasen, in denen es mit dem Stillen einfach nur anstrengend ist, den letzten Nerv kostet und Kraft raubt, kann ich Dir nur sagen, dass es vorbei geht. Und irgendwann in der Zukunft wirst Du vielleicht an diesen Moment zurückdenken und stolz auf das sein, was Du oder Ihr da geleistet habt. Denn das sollte, ganz unabhängig vom Stillen jede Mutter tun.
Sei stolz darauf, was Du leistest und sei zufrieden damit, denn es ist mit Sicherheit genug!