Kennst Du dieses Gefühl, eigentlich nur durchs Leben zu hetzen, ohne je wirklich Zeit für den gegenwärtigen Moment zu haben? Kommt es Dir oft vor, als würde die Zeit rasend schnell verfliegen und Deine Kinder viel zu schnell groß werden – ohne, dass Du wirklich Gelegenheit hast, bewusst an ihrem Aufwachsen teilzunehmen? Dann geht es Dir vielleicht wie mir und vielen anderen Menschen in unserer Gesellschaft: Dir fehlt die Achtsamkeit als Eltern bzw. im Allgemeinen.
Was genau mit Achtsamkeit gemeint ist und wie Du zu mehr Achtsamkeit im Alltag kommst, habe ich im Folgenden zusammengefasst.
Was bedeutet Achtsamkeit?
Achtsamkeit. Darüber scheinen im Moment alle zu sprechen. Bis ich einen Vortrag von Lilian Güntsche zu dem Thema gehört habe, konnte ich mir ehrlich gesagt auch wenig darunter vorstellen. Denn zunächst hatte ich das Wort assoziiert mit Vorsicht oder Umsicht. Tatsächlich meint Achtsamkeit aber eine besondere Form der Aufmerksamkeit, eine Qualität des Bewusstseins, die sich auf den gegenwärtigen Moment konzentriert. Wer achtsam ist, macht sich frei vom ständigen Gedankenstrom im Kopf und nimmt wahr, was jetzt gerade passiert – innerlich wie äußerlich – und zwar ohne zu (ver)urteilen. Achtsamkeit ist also eine Form der Konzentration, so wie Meditieren, nur ohne die Ruhe und Stille drumherum.
Achtsamkeit strebt nichts an. Sie sieht einfach, was bereits da ist.
(M.Gunarantana)
Was bewirkt Achtsamkeit?
Doch warum ist diese Achtsamkeit so wichtig? Was bringt Achtsamkeit? In den Köpfen der meisten Menschen findet ein permanenter, ununterbrochener Denkprozess statt. Wir nehmen wahr, ordnen ein, beurteilen, verurteilen, zweifeln, wünschen, begehren, planen die Zukunft oder hängen vergangenen Momenten hinterher. All das sind wichtige Teile unseres Lebens, unserer Persönlichkeit. Das Denken ist es, was uns Menschen von Tieren unterscheidet. Doch gleichzeitig halten uns diese Gedankengänge von etwas ganz Wichtigem und Wesentlichen ab: Uns im Hier und Jetzt zu verankern und das Leben in dem Moment wahrzunehmen, in dem es passiert. Wer achtsam durchs Leben geht, der zwinge den Gedankenstrom, von Zeit zu Zeit anzuhalten und nimmt sich die Zeit, wirklich zu erleben. Und zu leben.
Was hat Achtsamkeit mit Kindern zu tun?
Wenn ein Baby geboren wird, lebt es ausschließlich im Hier und Jetzt. Neugeborene haben noch kein Verständnis von Zukunft und Vergangenheit. Deshalb ist es auch so wichtig, dass ihre Bedürfnisse unmittelbar erfüllt werden – sie können diese nicht aufschieben und können genauso wenig berechnen oder manipulieren. Mit wachsendem Bewusstsein richtet sich die Aufmerksamkeit auch auf vergangene oder zukünftige Ereignisse. Doch lange Zeit leben Kinder hauptsächlich im gegenwärtigen Moment. Das macht das Leben mit Kindern so wundervoll und bereichernd. Sie sind quasi wie unsere persönlichen 24-Stunden Achtsamkeitstrainer.
Vieles, was wir längst nicht mehr wahrnehmen, untersuchen sie mit großer Aufmerksamkeit und Hingabe. Und das sind nicht immer nur als schön oder positiv bewertete Dinge und Geschöpfe. Bei Regen kann mein 2-jähriger sich zum Beispiel schier endlos lange mit herumkriechenden Nacktschnecken oder Weinbergschnecken beschäftigen. Auf den ersten Blick wirklich widerliche Tiere – bei genauerem Hinsehen und unter vorurteilsfreiem Blick jedoch auch ganz faszinierende Wesen. Wer noch nie oder selten Nacktschnecken gesehen hat, dem erscheinen sie in der Tat untersuchenswert.
Wenn wir also ein wenig von unserer Erwachsenen-Brille ablegen können und die Welt etwas häufiger durch die achtsamen Augen unserer Kinder betrachten, dann erscheint auch uns das Leben wieder viel bunter und abenteuerlicher. Gleichzeitig können wir mehr Verständnis aufbringen, wenn unsere Kinder auf dem Weg nach Hause gefühlt trödeln oder sich scheinbar unnötig lange mit derselben Sache befassen. Wir können lernen, geduldiger mit unseren Kindern zu sein und profitieren selbst am allermeisten davon.
So kannst Du Achtsamkeit als Eltern lernen und üben
Am Anfang steht immer der Wille. Deshalb solltest Du, wenn Du ein wenig Achtsamkeit in deinen Alltag bringen möchtest, zunächst Deine Grundhaltung überdenken. Achtsamkeit bedeutet Wahrnehmen statt Urteilen, Geduld statt Ungeduld, Vertrauen statt Zweifel, Akzeptieren statt Kritisieren, Loslassen statt Festhalten. Geh einmal in Dich und überlege, was Dir wirklich wichtig ist im Leben. Auf welche gedanklichen Zeitfresser kannst Du verzichten? Ist es wirklich so wichtig, dass die Wohnung immer perfekt geputzt ist? Oder würdest Du gerne mehr Zeit mit den Kindern verbringen? Ist der Einkauf wirklich schneller erledigt, wenn Du schon Stunden vorher darüber nachdenkst, ob alles auf Deiner Liste steht?
Ganz wichtig in einem achtsamen Umgang mit Kindern ist der Verzicht auf Multi-Tasking. Versuche, immer nur eine Sache auf einmal zu machen. Wenn Du mit Deinem Kind sprichst, konzentriere Dich nur darauf. Wenn Du gerade keine Zeit hast, weil Du das Bad putzt, bitte Dein Gegenüber, ein paar Minuten zu warten – oder unterbreche das, was Du gerade tust.
Natürlich kann niemand von Jetzt auf Gleich immer völlig achtsam durchs Leben gehen. Dieser Prozess braucht Zeit und muss auch nicht bis zur Perfektion vollendet werden. Ein bisschen mehr Achtsamkeit bringt auch schon ein bisschen mehr Lebensgefühl mit sich. Am besten, Du fängst bewusst mit kleinen Übungen im Alltag an.
Fünf tägliche Bereiche, in denen Du achtsam sein kannst
Im Eltern-Alltag gibt es Vorgänge und Rituale, die sich täglich, teils mehrmals täglich wiederholen. Bei genau diesen Vorgängen, weil sie so vertraut sind, neigen wir dazu, gedanklich abzuschweifen und nicht im gegenwärtigen Moment zu sein. Versuche, genau bei diesen Situationen anzufangen und mehr Achtsamkeit als Eltern zu erlangen. Beispiele dafür sind:
- Essen
- Zähneputzen
- Weg zur Arbeit / Schule / Kita
- Bettgeh-Ritual
- Spaziergang