Baby led weaning (BLW) bedeutet übersetzt Baby-gesteuerte Entwöhnung: Ein alternatives Ernährungskonzept zur klassischen Beikost mit Babybrei, das Du auch „Beikost nach Bedarf“ oder einfach „Breifrei“ nennen kannst. Anstelle von Brei bekommt das Baby von Anfang an feste Nahrung. Aber welche Vorteile hat die breifreie Baby-Ernährung? Und birgt Baby led weaning auch Risiken?
Baby-led weaning ist ein Riesen-Thema, über das Mütter, Hebammen und Mediziner aktuell mehr denn je diskutieren. Erfahre in diesem Artikel, welche Vor- und Nachteile Beikost nach Bedarf hat und was Du bei einer breifreien Baby-Ernährung beachten solltest.
Baby led weaning: Von der Hand in den Mund
Die britische Hebamme und Expertin für Baby-Ernährung Dr. Gill Rapley brachte 2010 das Buch „Baby led weaning“ heraus. Darin spricht sie sich dafür aus, das Baby an den gemeinsamen Mahlzeiten am Familientisch teilhaben zu lassen und ihm die Möglichkeit zu geben, selbstständig mit seinen eigenen Händen zu essen statt gefüttert zu werden. Und auch, dem Baby eine Auswahl geeigneter Nahrungsmittel anzubieten, aus der es selbst wählen kann.
Natürlich wurden Babys auch schon viel früher mit fester Nahrung statt mit Brei ernährt — in einigen Kulturen gibt es gar keinen Babybrei. Doch Gill Rapley trug maßgeblich dazu bei, dass sich der Begriff Baby led weaning, kurz BLW, bei uns etablierte.
Welche Vorteile Baby led weaning Deinem Baby bietet
Die breifreie Beikost hat zahlreiche Befürworter. Die Liste der Vorteile für Baby und Eltern ist lang:
- Dein Baby lernt die Lebensmittel kennen, wie sie sind. Es sieht, fühlt und schmeckt Karotten, Brokkoli oder Nudeln so, wie auch Du sie siehst, fühlst und schmeckst. Es lernt früh, dass es viele unterschiedliche Nahrungsmittel gibt und Du musst ihm den „Einheitsbrei“ später nicht wieder abgewöhnen.
- Dein Baby hat Spaß. Erbsen rollen über den Teller, Kartoffeln werden zermatscht, Obststückchen genüsslich abgeleckt. Für Dein Baby ist der Familientisch ein Abenteuerspielplatz.
- Selbstständigkeit und Selbstvertrauen: Ein Baby, das sein Essen selbst in der Hand hält, wirkt unglaublich stolz. In diesem Moment ernährt es sich unabhängig von Dir — und erfährt doch ein großes Gefühl der Zugehörigkeit, weil es mit am Tisch sitzt und das selbe tut wie alle anderen Familienmitglieder.
- Appetitkontrolle: Ein Kind, das selbstbestimmt isst, verlernt nicht, auf sein Sättigungsgefühl zu hören. Es lässt sich nicht gedankenverloren den Löffel in den Mund schieben, sondern hört auf, wenn es fertig ist.
- Dein Baby isst sicherer. Eine Studie aus Neuseeland hat gezeigt: Babys, die schon früh feste Nahrung bekommen, müssen anfangs zwar häufiger würgen, verschlucken sich später aber deutlich seltener als Babys, die nur mit dem Löffel gefüttert werden.
- Kauen stärkt die Gesichtsmuskeln – auch, wenn Dein Baby noch keine Zähne hat und die Nahrung mit seiner Zunge und den Kauleisten zerdrückt. Starke Gesichtsmuskeln wirken sich positiv auf die Sprachentwicklung aus.
- Preisgünstig und zeitsparend: Du musst keine Extra-Mahlzeiten für Dein Baby kochen, pürieren, einfrieren und auftauen und auch keine teuren Babygläschen kaufen.
- BLW beugt Übergewicht vor, so die Ergebnisse einer britischen Studie.
Warum kein Babybrei?
Babybrei hat viele Vorteile: Dein Baby kann ihn leicht essen, ohne sich zu verschlucken. Du fütterst Dein Baby und siehst genau, wie viel es gegessen hat. Du kannst die Zutaten individuell auswählen und das Gläschen überall hin mitnehmen. Der ausgeklügelte Nährstoff-Mix – egal, ob selbst gekocht oder gekauft, gibt Dir die Sicherheit, dass Dein Baby gut versorgt wird. Das zugesetzte Öl bewirkt, dass Dein Kind bestimmte Vitamine besser aufnimmt und sättigt effektiv. Das ist praktisch, wenn Du Dein Baby in einem kurzen Zeitraum abstillen oder von der Flasche entwöhnen möchtest.
Soweit die Theorie. Doch während manche Babys den Brei problemlos weglöffeln und schon nach kurzer Zeit weniger Milchmahlzeiten brauchen, verweigern viele Kinder die pürierte Nahrung – etwa, weil sie den Löffel als Fremdkörper emfinden. Wenn Dein Kind sich partout nicht füttern lassen will, empfindest Du die Beikosteinführung mit Babybrei wahrscheinlich als sehr stressig.
„Mein Baby mag keinen Brei“ oder „Mein Baby will selber essen“ hören Kinderärzte immer wieder. Wenn Dein Baby permanent nach dem Löffel oder in die Breischale greift, zeigt es, dass es selbstbestimmt essen und die neue Nahrung mit den eigenen Händen entdecken möchte – eine natürliche Verhaltensweise. Verschmäht es den Brei und verlangt stattdessen nach Deinem Essen, so entspricht das seinem natürlichen Nachahmungstrieb. Dein Baby lernt so ziemlich alles durch Nachahmung, deshalb will es das essen, was Du isst. In diesem Fall kann BLW eine für alle Beteiligten entspanntere Alternative zum Brei darstellen.
Natürlich ist es auch möglich, dass Dein Baby sowohl Brei als auch feste Nahrung verweigert, weil es lieber Milch trinkt. Vielleicht ist es einfach noch nicht soweit und versteht noch nicht, dass es auch von „richtigem Essen“ satt werden kann. Wenn das der Fall ist, verschiebe die Beikosteinführung einfach noch um zwei, drei Wochen.
Ab wann darfst Du Deinem Baby Fingerfood geben?
Die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung lautet, Beikost frühestens mit Beginn des 5. und spätestens mit Beginn des 7. Monats einzuführen und parallel weiter zu stillen. Der optimale Start-Zeitpunkt ist individuell verschieden und richtet sich nach der persönlichen Entwicklung des Kindes. Das solltest Du auch bedenken, wenn Dein Baby ein Frühchen war. Gill Rapley empfiehlt übrigens, nicht unter einem Alter von 6 Monaten mit BLW zu beginnen.
Ob Dein Baby bereit für Beikost ist, erkennst Du an folgenden Beikostreifezeichen:
- Dein Kind schaut Dir aufmerksam beim Essen zu und ahmt Kaubewegungen nach.
- Es greift nach Essen und steckt es sich in den Mund.
- Dein Baby kann mit wenig Unterstützung aufrecht sitzen und seinen Kopf stabil halten. Das ist wichtig, damit es gut schlucken kann.
- Es dreht sich vom Rücken auf den Bauch.
- Der Zungenstoßreflex hat nachgelassen, das heißt, die Nahrung wird nicht sofort wieder aus dem Mund herausbefördert.
Mehr zum Thema Beikostreifezeichen kannst Du hier nachlesen.
Welche Nahrungsmittel eignen sich für Baby led weaning?
Dein Baby sollte sein Essen gut greifen können. Gleichzeitig sollte es weich genug sein, dass es die Nahrung auch ohne Zähne zerdrücken kann.
Für den Anfang eignen sich folgende Lebensmittel:
- gedämpftes oder gedünstetes Gemüse, z.B. Brokkoli, Karotte, Kohlrabi
- im Ofen gebackenes Gemüse, z.B. Kürbis, Kartoffel, Süßkartoffel, Steckrübe
- rohes Gemüse, z.B. Salatgurke, Avocado
- Nicht zu festes Fleisch, z.B. in Form von Frikadellen
- reifes Obst, z.B. Birne, Banane, Pfirsich, Mango
- Hartkäse, z.B. Cheddar oder Emmentaler
- salzarmes Brot oder Reiswaffeln
- gekochte Nudeln oder Kartoffeln
Schneide Gemüse und Obst in lange fingerdicke Sticks. Entferne je nach Sorte auch die Schale. Biete Deinem Kind während den Beikost-Mahlzeiten Wasser an.
Weitere geeignete Lebensmittel für BLW findest Du in unseren Magazin-Beiträgen Tipps und Fingerfood-Ideen und Snacks für unterwegs.
Was Du Deinem Baby nicht geben solltest
- Fertiggerichte oder Fastfood, weil sie zu viel Salz und ungesunde Zusatzstoffe enthalten.
- Eingelegte Oliven oder Feta enthalten ebenfalls zu viel Salz.
- Stark gezuckerte Speisen
- Frittierte Gerichte
- Schalentiere, rohen Fisch, rohe Eier und Rohmilchprodukte
- Kleine harte Lebensmittel wie Nüsse
- Rohe Karotten oder Äpfel, sobald es Zähne am Oberkiefer hat: Dein Baby könnte kleine Stücke abbeißen und sich daran verschlucken. Auch bei harten Laugenbrezeln besteht diese Gefahr.
- Honig, weil er für Säuglinge gefährliche Bakterien enthalten kann.
- Scharfe oder intensiv gewürzte Gerichte
Musst Du bei Baby led weaning mehr Stillen?
Wahrscheinlich ja. Und das ist auch gut so! Wenn Dein Baby anfangs nur an Gurkenstückchen nagt, Brokkoliröschen abknabbert oder ein paar Brothäppchen im Mund aufweicht, braucht es zusätzliche Milchmahlzeiten, um seinen Energie- und Nährstoffbedarf zu decken. Deshalb wird sich Eure Still-Routine nur langsam ändern. Und es ist unbedingt notwendig, Deinem Kind in den ersten Monaten ergänzend zur Beikost die Brust oder die Flasche zu geben. So stellst Du sicher, dass es satt wird und gut versorgt mit Vitaminen und Nährstoffen ist.
Klassische Baby Ernährungspläne sind nicht konform mit Baby led weaning. Das Ziel, innerhalb weniger Wochen eine Milchmahlzeit nach der anderen durch eine Portion Brei zu ersetzen, wiederspricht dem Kind-geführten Ansatz. Bedenke, dass diese Pläne oft von Babybrei-Herstellern verbreitet werden.
Egal, ob Brei oder Fingerfood: So lange Du und Dein Baby es wollt, kannst und solltest Du ergänzend zur Beikost weiterhin nach Bedarf stillen.
Baby led weaning: 7 Tipps für die Praxis
- Nimm Dein Kind von Anfang an mit an den Familientisch. So ist es auch schon vor dem Beikoststart vertraut mit dem Konzept „Essen“.
- Dein Baby sollte weder ausgehungert noch gerade eben gestillt worden sein, wenn es seine ersten Erfahrungen mit breifreier Kost macht.
- Iss selbst etwas, wenn Dein Baby isst. Denn Du bist sein größtes Vorbild. Aber animiere es nicht übertrieben zum Essen.
- Lass Dein Kind bestimmen, in welchem Tempo Ihr die Milchmahlzeiten reduziert. Und akzeptiere, dass Dein Baby wahrscheinlich noch lange Milch brauchen wird.
- Biete Deinem Baby eine kleine Auswahl an Fingerfood an. Lass es selbst zugreifen.
- Vergiss den Spruch „Mit Essen spielt man nicht“. Bis Dein Baby versteht, dass Essen zum Sattwerden da ist, wird noch viel Zeit vergehen. Und: Wenn es Spaß hat, lernt es am Effektivsten.
- Nimm die Sauerei gelassen.
Hat Baby led weaning Nachteile?
Mit zwei negativen Aspekten musst Du rechnen, wenn Du Dich für BLW entscheidest:
Baby led weaning Nachteil 1: Die Schweinerei am Esstisch
Fest steht: Wenn Dein Kind selber isst, funktioniert das nicht ohne Kleckern. Ob die Schweinerei am Esstisch nun bei Brei-Babys geringer ausfällt, ist allerdings schwer zu sagen.
3 praktische Helfer, mit denen Du die Sauerei in den Griff bekommst:
- Verwende ein rutschfestes Tischset aus hochwertigem Silikon. Es verhindert, dass Dein Baby seinen Teller vom Tisch schieben kann. Wenn Du ganz sicher gehen willst, dass kein Geschirr auf dem Boden landet, kannst Du so eine Tischunterlage auch einfach anstelle eines Tellers verwenden.
- Zweckentfremde eine Bodenschutzmatte, wie sie für Bürostühle verwendet wird, als Unterlage für den Hochstuhl. Die kannst Du nach dem Essen notfalls auch mal über der Badewanne ausklopfen und abspülen. Alternativ tut es auch ein Wachstuch.
- Warum Deinem Baby einen normalen Schlabberlatz umhängen, wenn es Ärmel-Lätzchen mit Krümelfach gibt? Davon brauchst Du gar nicht so viele, denn Du kannst sie nach dem Essen unter fließendem Wasser abwaschen und die dünnen aus Kunstfasergewebe trocken super schnell.
Baby led weaning Nachteil 2: Die Skeptiker
Ein weiterer Nachteil von Baby led weaning ist sicherlich, dass Du mit Skeptikern zurechtkommen musst. Egal, ob Deine beste Freundin der Ansicht ist, ein Baby müsse doch Brei bekommen. Oder nach 6 Monaten abgestillt sein. Oder ob Deine Schwiegermutter jedes Mal panisch zusammenzuckt, wenn Dein Baby wieder mal die Avocado als Möbelpolitur für Deinen Küchentisch verwendet: Du wirst mehr als einmal erklären müssen, warum Du dieses Ernährungskonzept gewählt hast. Auch Dein Kinderarzt ist möglicherweise nicht begeistert.
Warum warnen manche Ärzte vor Baby led weaning?
Im Frühjahr 2017 sprach sich der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) gegen Baby led weaning aus. Der Grund: Das Nahrungsmittelangebot sei bei dem Breifrei-Konzept nicht ausgewogen genug. Somit könne es bei Säuglingen, die „von der Hand in den Mund“ leben, zu einem Mangel an wichtigen Nährstoffen, z.B. Eisen, kommen.
Um eine Unterversorgung zu vermeiden, sollten Eltern zunächst Brei geben und sich dabei an die Empfehlungen des Forschungsinstituts für Kinderernährung Dortmund (FKE) halten. Fingerfood sei deshalb nicht ausgeschlossen. Ab dem 10. Lebensmonat sollten Eltern das Kind an den Familienmahlzeiten teilnehmen lassen, es aber bei Bedarf ruhig noch füttern.
Der Deutsche Hebammen-Verband hält dagegen und propagiert BLW weiterhin als sinnvolle Beikost-Alternative für gesunde Babys.
Kann sich mein Baby bei BLW verschlucken?
Klares ja: Jedes Kind wird sich früher oder später an etwas Essbarem verschlucken. Die gute Nachricht: Babys, die früh mit fester Nahrung in Kontakt kommen, üben immer wieder, effektiv zu würgen und kontrolliert zu essen. Und reagieren so bei Verschlucken instinktiv richtig – wie die oben schon erwähnte Studie gezeigt hat.
Generell ist der Würgreflex bei Babys wesentlich stärker ausgeprägt als bei Erwachsenen, deshalb würgen Babys beim Essen häufiger. So schützen sie sich selbst vor Verschlucken und Ersticken.
So kannst Du Verschlucken beim Baby vorbeugen:
- Dein Baby sollte reif für Beikost sein. Wie Du die Zeichen für die Beikostreife erkennst, liest Du weiter oben.
- Beim Essen sollte Dein Baby aufrecht sitzen, entweder im Hochstuhl oder auf Deinem Schoß.
- Gib Deinem Baby keine Nüsse und viertele Trauben, Kirschen und kleine Tomaten.
- Lass Dein Baby niemals mit Essen allein.
- Dein Baby soll sich beim Essen selbst bedienen. Achte darauf, dass niemand Deinem Baby Essen in den Mund steckt, auch kein Geschwisterkind.
- Gib Deinem Kind im Auto kein Essen.
Wenn sich Dein Baby tatsächlich verschluckt hat, musst Du erste Hilfe leisten. Der Griff, mit dem Du einen Fremdkörper aus der Luftröhre herausbeförderst, ist zum Glück ganz einfach:
- Lege Dein Baby bäuchlings und mit dem Gesicht nach unten über Deinen Oberschenkel, sodass sein Kopf tiefer liegt als sein Brustkorb.
- Klopfe ihm mit der flachen Hand beherzt zwischen die Schulterblätter.
- Wenn Du mindestens 5 Mal geklopft hast, sollte Dein Baby das Nahrungsstück ausspucken.
Am Besten, Du besuchst einen Erste-Hilfe-Kurs für Säuglinge. Dort wirst Du von Experten geschult und weißt genau, wie Du im Notfall reagieren musst.
Ist BLW der richtige Weg für Dich?
Egal, ob Du klassisch mit Brei anfangen möchtest oder ob Du Dich für Baby led weaning entscheidest: Betrachte das Ganze nicht zu dogmatisch.
Für die meisten Eltern funktioniert übrigens eine Kombination aus Babybrei und Fingerfood im Alltag am besten. Solange Du auf die richtigen Nahrungsmittel setzt und Dein Kind weiterhin stillst, kannst Du nicht viel falsch machen. Wenn Du unsicher bist, ob Du Dein Baby gut ernährst, sprich mit Deinem Kinderarzt -und hole Dir im Zweifelsfall auch eine zweite Meinung von Deiner Hebamme oder Deiner Stillberaterin ein. Das Wichtigste: Hab Vertrauen in Dein Kind und achte gut auf seine Signale.
Welche Erfahrungen hast Du mit BLW gemacht? Verrate es uns gerne in den Kommentaren!
Mehr Infos dazu findest Du hier.