Bayerisch, Sächsisch oder Platt… in Deutschland existieren rund 20 Dialektgruppen. Jeder zweite Erwachsene in der Bundesrepublik behauptet, dass er – neben Hochdeutsch – auch einen Dialekt beherrscht. Während ab den 1960er Jahren eher abgeraten wurde, Kinder in Mundart zu erziehen, gibt es heute wissenschaftliche Hinweise darauf, dass Dialekte vorteilhaft sein können.
Dialekt macht Kinder schlauer?
Wurden in den 1970er und auch 1980er Jahren Kinder, die Dialekt sprachen, noch als rückständig und dümmlich angesehen, wandelt sich dieses Bild heute. Sowohl eine zypriotische als auch eine norwegische Studie weisen darauf hin, dass Dialekte wie eine zweite Fremdsprache anzusehen sind und dadurch zahlreiche Chancen in sich bergen.
Kinder, die sowohl mit Hochdeutsch als auch Schwäbisch, Fränkisch oder Kölsch aufwachsen, haben scheinbar die gleichen Vorteile, wie Kinder die mit Deutsch sowie einer Fremdsprache heranwachsen. Wissenschaftler wie Anthony Rowley, der in München als Professor für Germanistik lehrt und gleichzeitig in der Dialektforschung engagiert ist, erkennen folgende Gewinne für Dialektsprecher:
- Training für das Gehirn: Genau wie Bilingualität dient auch der Dialekt wie eine Zweitsprache als Schulung für das Gehirn.
- Perfekte Sprachbeherrschung: Kindern ist es möglich, bis circa zum 4. Lebensjahr, noch mehrere Sprachen akzentfrei zu erlernen. Außerdem kommunizieren sie effektiver, wenn sie bilingual erzogen werden.
- Empathischer: Menschen, die zweisprachig aufwachsen, scheinen sich besser in ihr Gegenüber hineinversetzen zu können.
- Schutz vor Gedächtnisverlust im Alter: Professorin Ellen Bialystock fand heraus, dass Zweisprachigkeit einen positiven Einfluss auf die Entstehung von Demenz hat. Bei Patienten, die bilingual aufwuchsen, trat die Erkrankung um durchschnittlich vier Jahre später auf.
- Variationskompetenz und Flexibilität: Bilinguale können schnell zwischen den Sprachen wechseln und dadurch scheinbar auch flexibler auf verschiedene Situationen reagieren.
- Höherer IQ: Einige Untersuchungen weisen tatsächlich darauf hin, dass Zweisprachige einen höheren IQ haben als Einsprachige.
Die aufgezählten Vorteile bei Dialektkindern sind ausgeprägter, je mehr sich der Akzent vom Hochdeutschen unterscheidet.
Dialekt mit Imageproblem
Obwohl der Nutzen von Dialekten klar auf der Hand liegt, ist er häufig immer noch verpönt. Bereits im 19. Jahrhundert fing es an, dass das Bürgertum den Dialekt abwertete und ihn hierarchisch unter das gepflegte Hochdeutsch stellte. Von diesem Akt der Herabstufung haben sich Sächsisch, Bayerisch und Co. nie wieder ganz erholt.
Eine Dialektstudie aus Bayern verdeutlicht sogar, dass aktuelle Schulbücher das Ansehen des Dialekts schädigen. Wie der Germanist Peter Maitz von der Universität Augsburg analysiert, werden in den Büchern sogar leichte Dialektfärbungen als problematisch dargestellt.
Wegen des schlechten Rufs, neigen Eltern immer wieder dazu, die Kinder in reinem Hochdeutsch zu erziehen. Zu einer echten Herausforderung für beide Seiten wird das, wenn die Eltern selbst kein akzentfreies Deutsch beherrschen. Die Kommunikation mit dem Nachwuchs klingt dann meist sehr hölzern und unnatürlich.
Wieviel Dialekt und Tradition ist gut?
Ich persönlich finde, dass jede Kindererziehung so natürlich wie möglich erfolgen muss. Wenn in einer Familie nur Dialekt gesprochen wird, dann sollte man sich – des Kindes wegen – nicht verbiegen.
Die Forschung bestätigt meinen Ansatz übrigens. Denn die Vorteile der Bilingualität treten selbst bei Kindern auf, die bis zum Kindergarten- oder Schuleintritt nur Dialekt sprechen. Normalerweise reicht es bereits aus, wenn der Nachwuchs durch Bücher, Fernsehen oder Radio regelmäßig mit Hochdeutsch in Berührung kommt. Dialektsprechende Eltern können die Sprachkompetenz ihrer Sprösslinge fördern, indem sie:
- Gemeinsame Lieder auf Hochdeutsch singen
- Hörspiele anhören
- Bücher für Babys und Kinder vorlesen
- Kurze Videos oder Kindersendungen zusammen schauen
- Das Radio im Hintergrund laufen lassen
- In regelmäßigen Kontakt mit hochdeutschen Bekannten, Freunden und Verwandten treten
- Kinder im Alltag integrieren, speziell in Situationen, wo Hochdeutsch gesprochen wird
Zum Thema Brauchtum und Tradition ist zu sagen, dass Regelmäßigkeiten generell Halt geben. Alte Familienrituale sind Wurzeln, die den Kindern eine Identität spenden. Es ist wichtig kulturelle und religiöse Feste und Feiern zu pflegen.
Hierbei ist besonders das Weihnachtsfest zu erwähnen, dass in christlichen Regionen einen besonders hohen Stellenwert besitzt. Dieser ist sogar so enorm, dass selbst Familien, die keiner Kirche angehören, den Advent und die Feiertage zelebrieren. Es müssen aber nicht unbedingt die klassischen und bekannten Traditionen sein, die eine Familie pflegt. Genauso dürfen eigene Traditionen gegründet werden. Vielleicht gibt es Tage im Jahr, wo Eltern und Kinder immer ein bestimmtes Ritual begehen? Es ist gut möglich, dass dadurch eine neue Tradition der Familie gegründet wird.
Die Balance zwischen Brauchtum und Freiheit ist wichtig. Ein zu enges Korsett an Festen, Feiertagen und Ritualen lässt kaum Luft zum Atmen. Kinder freuen sich über Anhaltspunkte in der Jahresplanung – besonders wenn sie mit gemeinsamer Zeit und Geschenken verbunden sind – aber sie wünschen sich auch genug Raum, um sich selbst zu entdecken und eine eigene Persönlichkeit, unabhängig von der kulturellen Vergangenheit, zu entwickeln.
Sprachförderung hochdeutscher Familien
Die Überschrift klingt beinahe absurd, gerade im Hinblick auf das unglückliche Image des Dialekts. Nachdem nun aber erwiesen wurde, welche Vorteile bilinguale Kinder haben, möchten vielleicht auch Hochdeutsch sprechende Eltern einen ulkigen Akzent wie Fränkisch oder Berlinerisch zu Hause einführen.
Hiervon ist genauso abzuraten, wie von der zweisprachigen Erziehung mit Englisch, Chinesisch oder Spanisch, wenn die Eltern diese nicht fließend beherrschen. Dein Kind ist in Deine Familie geboren, weil es genau dorthin gehört. Sprecht Ihr Dialekt, dann ist das richtig, wichtig und gut. Sprecht Ihr ausschließlich Hochdeutsch, dann tut das. Wer noch eine zweite Fremdsprache auf Muttersprachler-Niveau beherrscht, der darf diese gerne in die Erziehung einbringen.
Ansonsten ist Mehrsprachigkeit nicht alles im Leben. Jeder Mensch bringt einzigartige Talente und Geschenke mit, die er seinem Nachwuchs weitergeben kann. Befreie Dich von dem Druck, dass Du Deinem Kind möglichst viel beibringen musst, damit es später erfolgreich wird. Du und Deine Familie, Ihr bietet genau die Fähigkeiten, die Euer Kind braucht. Und falls der Nachwuchs eine Sprache oder einen Dialekt unbedingt lernen will, dann gibt es mittlerweile unzählige Kurse sowohl in Gruppen- und Einzelbetreuung als auch Online.
Wie ist Eure Erfahrung mit Bräuchen und Traditionen in der Erziehung? Sprecht Ihr einen Dialekt? Erzählt uns gerne davon in den Kommentaren.