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Gewalt unter der Geburt: Das Tabu brechen und sich wehren


„Ich mache jetzt einen Dammschnitt,“ sagt die Ärztin zu mir. Ich liege auf dem Rücken in einem Krankenhausbett und die Medizinerin hat mir soeben, ohne vorherige Ankündigung, eine lokale Betäubung im Vaginalbereich verpasst. „Muss das wirklich sein?“ frage ich. „Ich habe große Angst davor, geschnitten zu werden.“ – „Ach, das spüren Sie kaum“, sagt die Frau, die nun bereits die Schere beängstigend nah an meinem Intimbereich in die Höhe hält. Dass dieses Verhalten und alles, was folgt, als Gewalt unter der Geburt gilt, wusste ich ehrlich gesagt nicht.

Bis zum heutigen Tag, an dem ich mich mit dem Thema intensiv beschäftigt habe, um diesen Artikel zu schreiben. Auch, dass genau in diesem Unwissen das große Problem liegt, ist mir erst heute klar geworden. Denn diese traumatische Erfahrung als solche zu identifizieren und aufzuarbeiten hat mich viel Kraft gekostet. Ein Weg, der viel kürzer hätte sein können – wenn Gewalt in der Geburtshilfe kein Tabu-Thema mehr wäre!

Gewalt während der Geburt – Erfahrungen, die kein Einzelfall sind

Meine Erfahrungen mit Gewalt im Kreißsaal

Noch zwei mal bitte ich im Kreißsaal darum, dass niemand mit einer Schere in meine Vagina schneidet. Vergeblich. Dann mischt sich mein Mann ein, mit dem ich über meine Angst im Vorfeld mehrmals gesprochen habe. „Sie hat offenbar große Angst vor einem Dammschnitt. Können wir es denn nicht darauf ankommen lassen, ob der Damm natürlich reißt oder nicht?“ Das Personal scheint dem werdenden Vater, der im übrigen nicht in diesem Körper steckt und sich nicht seit vielen Stunden unter einem Wehensturm (übermäßige Wehen ohne Pause) vor Schmerzen krümmt, mehr Bedeutung zuzumessen. Genervt legt die Ärztin zunächst die Schere weg.

Wenige Wehen später setzt sie die Saugglocke an das Köpfchen des Babys und verkündet: „Wenn er mit dieser Wehe nicht raus kommt, schneiden wir.“ Ich habe Angst, dass ich es nicht schaffe, das Kind herauszupressen. Dass mein Gewebe dann mit einer Schere zerschnitten wird. Für mich ein furchtbarer Gedanke. Meine Gebärmutter ist vom Wehensturm erschöpft und ich spüre die Wehen kaum noch. Aus purer Angst und Verzweiflung presse ich mit dem nächsten Schub, was das Zeug hält. Die Hebamme lehnt auf meinem Bauch und drückt mit aller Gewalt mit. Die Ärztin zieht von unten. Der Schmerz und die Anstrengung sind unglaublich.

Aber danach ist mein Baby geboren.

Sale

Er wird mir auf den Bauch gelegt und ich warte auf diesen magischen Moment, von dem alle sprechen.

Vergeblich.

Trauma nach Krankenhausgeburt: Bin ich selbst schuld?

War das nun wirklich Gewalt unter der Geburt? Oder was dieses Vorgehen notwendig und ich stelle mich nur zu sehr an? Immerhin hatte meine Mama bei allen drei ihrer Geburten einen Dammschnitt. Sie hat keinen davon als übergriffig wahrgenommen. „Das war damals eben Standard und es ging dadurch leichter.“ Und genau da liegt das große Dilemma: Seit einigen Generationen finden die allermeisten Geburten im Kreißsaal in einem Krankenhaus statt. Und für diese vermeintliche Sicherheit zahlen wir einen großen Preis: Wir Frauen sind verunsichert und bekommen suggeriert, dass die Hebammen und Ärzte dort besser wissen, was notwendig ist, um ein gesundes Baby zur Welt zu bringen.

Dass viele dieser Interventionen erst notwendig werden durch Stress, Angst und Verunsicherung während und vor der Geburt, wissen die wenigsten. Häufig bleibt, wie bei mir, hauptsächlich das Gefühl, um irgendetwas betrogen worden zu sein. Etwas ist schief gelaufen. Weil die im Krankenhaus aber die vermeintlichen Experten sind, ist das logische Fazit: Wenn ich damit nicht klar komme, ist bei mir etwas schief gelaufen! Mit mir stimmt etwas nicht, wenn ich dieses berauschte Gefühl nicht erlebe, wenn ich mein Neugeborenes zum ersten Mal im Arm halte. Immerhin haben ja „alle“ anderen Mütter diesen Moment. Oder?

Tatsächlich durfte ich lernen, dass es sehr vielen Frauen geht wie mir. Sie erlebten ihre Geburt im Krankenhaus als traumatisch und funktionierten anfangs nur, anstatt sich in Glücksgefühlen wieder zu finden.

Gewalt und Trauma erkennen und verarbeiten

Die große Herausforderung beim Thema Gewalt in der Geburtshilfe scheint also zu sein, Gewalt während der Geburt als solche zu erkennen, zu benennen und zu verarbeiten. Und eben nicht jahrelang in dem Gefühl zu leben, dass man sich „nicht so anstellen“ hätte sollen. Denn psychologisch lassen sich negative und traumatische Ereignisse dann ordentlich verarbeiten, wenn sie auch bewusst als solches identifiziert werden. Verbale Gewalt und körperliche Übergriffe während der Geburt scheinen aber völlig normal zu sein in unserer Wahrnehmung.

Zunächst brauchen wir also ein Bewusstsein für Gewalt unter der Geburt – und können dann im nächsten Schritt vom medizinischen Personal auch verlangen, dies zu unterlassen. Dieses Bewusstsein können wir nur schaffen, wenn wir anfangen, über das Erlebte zu sprechen. Uns auszutauschen. Die Gewalt unter der Geburt auch als solche benennen.

Dass das Bewusstsein dafür, was in der modernen Geburtshilfe schief läuft, steigt, verdanken wir auch dem Roses Revolution Day, der jährlich am 25. November stattfindet. Frauen legen vor den Geburtsstätten rosafarbene Rosen nieder. Als stille Aussage sozusagen. Als Mahnmahl. Als stille Revolution. Oft liegen neben den Rosen auch Briefe, in denen sich betroffene Frauen das Erlebte von der Seele schreiben.

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Das Logo des „Roses Revolution Day“ (Flyer aus dem Jahr 2020)

Was zählt zu Gewalt unter Geburt?

Vielleicht hast Du ähnliche Erfahrungen gemacht und fragst dich nun, ob das, was Du erlebt hast, schon als Gewalt während der Geburt zu werten ist, oder ob Du Dich nur „anstellst“? Mein vorläufiges Fazit: Wenn Dein Bauchgefühl Dir sagt, dass etwas nicht richtig gelaufen ist, dann war das vermutlich auch so! Die Geburt Deines Kindes ist ein sehr intimer, privater und individueller Prozess, bei dem Dich das Klinikpersonal begleitet. Wenn Du Dich nicht begleitet und unterstützt fühlst, sondern herablassend behandelt, respektlos angesprochen oder sogar in Deiner körperlichen Integrität verletzt fühlst, dann ist das nicht in Ordnung!

Verbale Gewalt unter der Geburt

Verbale Gewalt unter der Geburt reicht von Lästereien des Klinikpersonals untereinander über Dein Verhalten oder Dein Aussehen bis hin zu direkten verbalen Attacken. Ein „So eine Sauerei hab ich ja in meinen 20 Jahren hier noch nicht gesehen“ ist also während der Geburt genauso unangemessen und wie ein „Stell Dich nicht so an, da musst Du jetzt durch wie Millionen Frauen vor Dir!“.

Verbale Gewalt zählt zu psychischer Gewalt in der Geburtshilfe, so auch:

  • Anschreien
  • Beschimpfungen
  • verbaler Druck / Zwang
  • Demütigung
  • Diskriminierung
  • sexistische Kommentare und Witze
  • ungewünschtes allein lassen während der Austreibungsphase der Geburt
  • Verweigerung von Essen oder Trinken
  • Nötigung zum Essen oder Trinken

Physische Gewalt unter der Geburt

Zu körperlicher Gewalt unter der Geburt zählen unter anderem

  • Kristeller-Handgriff (das oben beschriebene Drücken auf den Bauch) ohne Zustimmung
  • gewaltsames Fixieren in einer Gebärposition
  • keine freie Wahl der Geburtsposition
  • Schläge und andere körperliche Attacken
  • Festhalten, Festschnallen der Beine
  • medizinisch nicht notwendige Untersuchungen (Abtasten des Muttermundes)
  • ungefragte Verabreichung von Medikamenten wie Narkose, Wehentropf, Wehenhemmer (Notfälle ausgenommen)
  • Verweigern von Schmerzmitteln
  • unnötig schmerzhaft durchgeführte medizinische Eingriffe (z.B. Katheter legen, Zugang stechen)
  • medizinisch nicht nötiger Dammschnitt
  • medizinisch nicht nötiger Kaiserschnitt
  • Genitalverstümmelung („husband stitch“)

Wie häufig kommt es zu Gewalt unter der Geburt?

Eine offizielle Statistik oder Studie zu Gewalt unter der Geburt gibt es nicht. Je nach Quelle heißt es aber, jede zweite bis dritte Frau erfährt eine Geburt, bei der sie sich verbal oder körperlich angegriffen, respektlos oder übergriffig behandelt fühlt. Selbst im besten Fall betrifft Gewalt in der Geburtshilfe also jede dritte Frau!

Im Übrigen können auch werdende Väter und andere Begleitpersonen durch Gewalt unter der Geburt ein Trauma erleiden. So war auch mein Mann von dem Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins nach der Geburt unseres Sohnes stark betroffen.

Wenn Du solche Erfahrungen machen musstest, bist Du also bei weitem kein Einzelfall! Zum Glück haben immer mehr Frauen den Mut und das Bewusstsein, offen über ihre Gewalterfahrungen während der Geburt zu sprechen.

So trendet das Thema derzeit sogar bei Tiktok – einer Social Media Plattform, die ja sonst eher für leichte Unterhaltung steht.

Wie kann ich Gewalt unter der Geburt vorbeugen?

Vor meinem ersten Kind war ich der modernen Medizin und einer Krankenhausgeburt gegenüber sehr positiv gestimmt. Was genau während der ersten Geburt schief gelaufen ist, habe ich erst in meiner zweiten Schwangerschaft zu verarbeiten begonnen. Und je mehr ich an meinen traumatischen Erfahrungen arbeitete, desto fester wurde mein Entschluss: Meinen zweiten Sohn brachte ich bei uns zuhause zur Welt. Hier gelang es mir, ganz ohne Medikamente und andere Interventionen mit einem erneuten Wehensturm fertig zu werden. Ganz ohne Gewalt unter der Geburt, sondern mit der positiven, hilfreichen und zurückhaltenden Unterstützung meiner Hebamme, brachte ich mein Kind zur Welt. Und da war er, dieser Moment, in dem die Glücksgefühle sprudeln. So ganz anders als beim ersten Mal.

Informiere Dich und suche Dir Unterstützung

Nicht alle Frauen haben die Möglichkeit (sei es wegen medizinischen Ursachen wie eine BEL oder vorangegangene Kaiserschnitte, oder einfach aus logistischen Gründen) oder das Selbstbewusstsein, auf die Unterstützung im Krankenhaus zu verzichten. Auch, wenn die Statistik nahe legt, dass eine Hausgeburt nicht gefährlicher ist, als eine Klinikgeburt. Und auch mit der Hausgeburtshebamme kann es ja theoretisch Probleme geben.

Was also kannst Du tun, um Dich vor Gewalt während der Geburt im Krankenhaus oder Geburtshaus zu schützen? Mein Tipp dazu: Informieren und Unterstützung suchen:

  • Zunächst einmal solltest Du Dir klar machen, wie Gewalt unter der Geburt aussieht. So bist Du darauf gefasst und kannst sofort einschreiten. Auch Dein Partner oder Deine Begleitung bei der Geburt sollte wissen, dass so etwas sehr häufig passiert und dass ihr das Recht habt, das zu unterbinden. Klinikangestellte sind auch nur Menschen. Eine einfache Bitte oder ein gekonnter Widerspruch reicht manchmal vielleicht schon aus, um sie an ihre zwischenmenschlichen Pflichten zu erinnern. „Bitte sprechen Sie nicht so mit mir / meiner Frau / meiner Freundin, sie braucht jetzt moralische Unterstützung und keinen Spott.“
  • Das kann für Deinen Partner, je nach Charakter, eine große Herausforderung oder Belastung sein. Wenn Du im Familien- und Bekanntenkreis niemanden hast, der während der Geburt sozusagen aufpasst, hol Dir professionelle Hilfe. Mit viel Glück findest Du eine Beleghebamme, die Dich begleitet. Ansonsten versuche, eine Doula zu finden, die mit Dir ins Krankenhaus geht. Beide Fachpersonen können Dich auch schon während der Schwangerschaft begleiten und so Deine Bedürfnisse und Ängste kennen lernen. Die Kosten für eine Doula werden leider nicht von der Krankenkasse übernommen.

Auf den eigenen Körper vertrauen

Mir hätte es damals geholfen, mehr Vertrauen in meinen Körper und meine Gebärfähigkeit zu haben. Ich hatte stark das Gefühl, die Hebamme würde schon wissen, was richtig ist. Heute weiß ich: Ich selbst bin diejenige, die in den allermeisten Situationen der Geburt weiß, was richtig ist. Und das auch durchsetzen darf. Wenn das Leben eines Babys während der Geburt tatsächlich in Gefahr ist, werden die Ärzte ohnehin nicht mehr diskutieren. Dann muss es schnell gehen und Du wirst nicht gefragt werden. In allen anderen Fällen haben Hebammen, Ärzte und sonstiges Klinikpersonal, das weiß ich heute, im Prinzip keine Ahnung, was in Dir vorgeht und was Dir gerade hilft. Das weißt und spürst Du, sonst niemand.

Um dieses Selbstbewusstsein aufzubauen, habe ich verschiedene Bücher gelesen, die ich Dir hier gerne weiter empfehle:

Vielleicht können Dir auch der Geburtsvorbereitungskurs und Vorgespräche mit Deiner Hebamme helfen, unter der Geburt selbstbestimmt und selbstbewusst aufzutreten.

Initiativen gegen Gewalt unter der Geburt

Auch gibt es heute einige Initiativen und Vereine, die sich mit dem Thema Gewalt unter der Geburt beschäftigen. Auch hier kannst Du Dich informieren, was als Gewalt zählt, wie Du sie vermeiden kannst und Du findest Hilfe bei der Verarbeitung:

Auch ein Buch explizit zum Thema Gewalt unter der Geburt gibt es mittlerweile:

Wenn Du Dich konkret mit anderen Müttern austauschen möchtest, versuch es mal in einem Forum bzw. Foren-Thread zum Thema Gewalt unter der Geburt.

Wer das Bedürnis hat, mit professionellen Therapeutinnen über ein Geburtstrauma zu sprechen, kann sich auch telefonisch unter 0228 9295 9970 an das Hilfetelefon Schwierige Geburt wenden (Festnetztarif).

Hast Du selbst Erfahrungen mit Gewalt unter der Geburt gemacht? Was hat Dir in Deiner Situation geholfen? Wir sind gespannt auf Deinen Kommentar!

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