„Bedürfnisorientierte Erziehung“ steht mittlerweile bei vielen jungen Eltern im Vordergrund. Auch in Kindertagesstätten ist dieser kindgerechte Ansatz mittlerweile angekommen: Viele Kitas machen die Eingewöhnung nach dem sogenannten „Berliner Modell“. Was steckt dahinter und warum wird dabei so vorsichtig vorgegangen? Wie die Eingewöhnung nach dem Berliner Modell abläuft, was dabei auf Dich als Mama oder Papa zukommt und welche Vorteile das Berliner Modell hat, erkläre ich Dir im Folgenden.
Berliner Modell: Sanftes Eingewöhnungs-Konzept
Als mein Mann und ich uns entschieden, unseren Sohn mit 14 Monaten in die Tagesstätte zu geben, war das für uns keine leichte Entscheidung. Wir stellten schnell fest, das viele Eltern bei diesem Thema von den gleichen Zweifeln geplagt werden, wie wir. Wie wird es unserem Kleinen dort gehen? Wird er Angst haben ohne seine Mama? Gar traumatisiert? Was, wenn sich die Erzieher nicht so um ihn kümmern, wie wir uns das vorstellen?
Zum Glück wird der Start in diese neue, aufregende Phase mittlerweile anders gestaltet als früher: Das Kind wird nicht mehr einfach an der Pforte abgegeben und dann seinem Schicksal bzw. den Erziehern überlassen, sondern ganz sanft und bindungsorientiert eingewöhnt. Dieses Modell der Eingewöhnung nennt man „Berliner Modell“.
Was ist das Berliner Modell?
Das Berliner Eingewöhnungsmodell, auch Eingewöhnungsmodell nach infans (Institut für angewandte Sozialisationsforschung/Frühe Kindheit e.V.) genannt, stützt sich überwiegend auf die Bindungstheorie von John Bowlby. Der Schwerpunkt liegt darauf, die Bindung des Kindes an seine Eltern zu beachten sowie die Tatsache, dass jedes Kind sich unterschiedlich schnell und unterschiedlich fest bindet.
Um das Kind vor psychischen Schäden zu bewahren, wird die Eingewöhnung individuell an die Bedürfnisse des Kindes angepasst und läuft in verschiedenen Stufen ab. Das Kind wird nur langsam vom betreuenden Elternteil getrennt und gleichermaßen an die Erzieher:in als Bezugsperson herangeführt.
Neben der Kita-Eingewöhnung nach dem Berliner Modell gibt es noch das sog. „Münchener Modell“. Dieses Modell legt zusätzlich andere Schwerpunkte, ist aber im großen und ganzen ähnlich sanft in der Durchführung.
Wie lange dauert die Kita-Eingewöhnung nach dem Berliner Modell?
Wie lange eine solche Eingewöhnung dauert, richtet sich komplett nach dem Kind, da jedes Kind individuell in seinen Erfahrungen, seinem Bindungsverhalten und vor allem seinem Tempo ist. Die Erzieher:in beobachtet das Kind in den ersten Tagen und passt so die Länge der Eingewöhnung an.
Während der gesamten Eingewöhnung ist das Kind maximal halbtags anwesend. Auch danach wird die Länge nur langsam gesteigert. Manche Kinder schlafen relativ früh in der Betreuungseinrichtung, dann aber in Anwesenheit des Elternteils. Oft findet der Mittagsschlaf aber erst nach der Eingewöhnungszeit in der Kita statt, sodass Erzieher und Kind dann ein eigenes Ritual entwickeln können.
Ablauf des Berliner Eingewöhnungsmodells
Die Kita-Eingewöhnung nach dem Berliner Modell gliedert sich in 4 Phasen:
1. Grundphase
In den ersten 3-4 Tagen kommst Du gemeinsam mit dem Kind für ein bis zwei Stunden und die beiden halten sich gemeinsam in den Räumlichkeiten auf. Der Bezugserzieher nimmt ersten Kontakt zum Kind auf über Spielangebote. Es finden keine Trennungsversuche statt, Du konzentrierst sich voll auf das Kind und bist jederzeit verfügbar. Du spielst möglichst nicht mit anderen Kindern.
2. Erster Trennungsversuch
Nachdem Du und Dein und Kind Euch wieder einige Zeit gemeinsam vor Ort aufgehalten habt, folgt die erste Trennung: Der Elternteil verlässt die Räumlichkeiten. Auch die Länge dieser Phase passt sich an das Verhalten des Kindes an: Reagiert das Kind mit starkem Weinen und Panik, kommst Du nach ca. 2 Minuten schon zurück. Reagiert das Kind gleichgültig bzw. lässt sich schnell beruhigen, kann die erste Trennung bis zu 30 Minuten betragen. Wie alle neuen Schritte findet die erste Trennung nie an einem Montag statt.
Wichtig beim ersten Trennungsversucht ist, dass der Du Dich verabschiedest, am besten mit einem täglich sich wiederholenden Ritual, und Dich nicht einfach wegschleichst, wenn Dein Kind abgelenkt ist.
3. Stabilisierungsphase
Diese beginnt i.d.R. mit dem 5. Tag: Die Bezugserzieher:in übernimmt immer mehr die Betreuung des Kindes, während Du noch anwesend bist, aber nach Möglichkeit nicht mehr eingreifst bzw. nur dann, wenn Dein Kind die Erzieher:in nicht akzeptiert. Trennungszeiten werden täglich verlängert, je nach Reaktion und dem anschließenden Verhalten des Kindes.
4. Schlussphase
Die Eingewöhnung ist dann abgeschlossen, wenn das Kind eine erste Bindung zur Erzieher:in aufgebaut hat. Es weint zwar vielleicht noch, wenn Du Dich verabschiedest, lässt sich aber von der Bezugs-Erzieher:in auf den Arm nehmen und trösten. In der Zeit, in der das Kind allein in der Kita verbringt, nimmt es aktiv und neugierig an den Gruppenaktivitäten teil bzw. ist an Räumen, Spielzeug und anderen Kindern interessiert. Insgesamt dauert dieser Prozess der Eingewöhnung nach dem Berliner Modell in der Regel zwischen einer und drei Wochen.
Sind drei Wochen wirklich das Maximum?
Bei Euch dauert die Eingewöhnung länger als drei Wochen? Keine Panik: Bei Krippenkindern unter drei Jahren ist es aber auch völlig normal und in Ordnung, wenn sich die Eingewöhnungsphase noch länger hinzieht! Insbesondere wenn das Kind während der Eingewöhnung krank wird (passiert sehr oft!), zahnt oder einen Entwicklungsschub durchmacht, kann die Eingewöhnung nach dem Berliner Modell auch mal ein paar Wochen länger dauern.
Lies hier, wie Du das Immunsystem Deines Krippenkindes stärken kannst.
Dauert die Eingewöhnung nach dem Berliner Modell zu lange?
Immer wieder höre ich auch von Eltern, denen dieser Prozess der Kita-Eingewöhnung nach dem Berliner Modell zu lange dauert. Allerdings ist es wirklich wichtig, diese Eingewöhnung so gut und erfolgreich wie möglich durchzuführen. Studien belegen, dass eine fehlende bzw. mangelhafte Eingewöhnung Nachteile für das Kind nach sich zieht:
- Kinder, die nicht ausreichend eingewöhnt wurden, sind in den folgenden Monaten häufiger und länger krank.
- Diese Kinder können die Möglichkeiten und Förderpotentiale, die ihnen die Kindertagesstätte bietet, nicht ideal wahrnehmen.
- Sie leiden ggf. unter Trennungsangst und haben Schwierigkeiten in späteren Bindungsbeziehungen.
Kita-Eingewöhnung nach dem Berliner Modell: Meine Erfahrungen
Erste Trennung am 4. Tag
Auch unsere Kita-Eingewöhnung wurde nach dem Berliner Modell durchgeführt. Drei Tage lang durfte unser 14 Monate alter Sohn jeweils 1-2 Stunden die Räumlichkeiten erkunden, während ich noch anwesend war. Daran hatte er offensichtlich großen Spaß. Auch der erste Trennungsversuch am vierten Tag, insgesamt 10 Minuten, lief super. Er suchte wohl kurz nach mir, spielte dann aber weiter.
Schwieriger Abschied am 5. Tag
Erst am fünften Tag fing er, als er mich weggehen sah, bitterlich an zu weinen. Diese Erfahrung, wenn das eigene Kind weint und man ihm einfach den Rücken zudreht, wünsche ich wirklich niemandem. Das ist wirklich schwer auszuhalten. Sein Bezugserzieher konnte ihn soweit beruhigen und er verbrachte die 30 Minuten, die ich wegblieb, auf dessen Arm.
Langsame Eingewöhnung gibt mir ein gutes Gefühl
Die nächsten Tage liefen besser und die Zeit meiner Abwesenheit wurde sukzessive auf 3 Stunden ausgedehnt. Nach dem Mittagessen, also vor seinem Schlaf, nehme ich ihn dann jeden Tag mit nach Hause. Auch wenn die Eingewöhnung nun soweit abgeschlossen ist, wollen wir das noch einige Tage so beibehalten. In einem nächsten Schritt soll er dann lernen, auch seinen Mittagsschlaf vor Ort zu machen und wir gehen einige Zeit direkt danach nach Hause. Erst, wenn er sich richtig wohl fühlt und die Bindung zu den Erziehern fest ist, möchte ich die 5-7 Stunden, die wir zur Verfügung haben, voll ausschöpfen.
Fazit: Berliner Modell tut Deinem Kind gut
Auch, wenn Dir die Zeit, die Du mit Deinem Kind in der Kita verbringst, anfangs lang vorkommt: Dein Kind braucht diese Zeit, um sich mir Dir als vertrautem Begleiter, um sich an die neue Umgebung und an die vielen neuen Personen zu gewöhnen.
Das Berliner Modell ist auf die Individualität eines jeden Kita-Kindes ausgerichtet und ermöglicht den Erzieher:innen viel Flexibilität. Voraussetzung ist aber auch, dass der Zeitplan, in dem mehrere Kinder nacheinander in die Kita eingewöhnt werden, bei einer fachgerechten Umsetzung des Berliner Modells nicht zu straff sein darf. Sonst hat die neue Bezugsperson mitunter nicht die Kapazitäten, die sie vielleicht für Dein Kind bräuchte.
Eingewöhnung nach dem Berliner Modell: Die besten Tipps zusammengefasst
Mit den folgenden Tipps wirst Du die Krippen- oder Kindergarteneingewöhnung nach dem Berliner Modell mit Deinem Kind gut meistern:
- Plane ausreichend Zeit für die Eingewöhnung ein (mindestens drei Wochen).
- Vertraue dem Betreuungspersonal und deren Erfahrung.
- Gehe mit einer positiven Einstellung in die Eingewöhnung – das überträgt sich auf Dein Kind, genauso wie skeptische Gefühle.
- Bringe auch Deinem Kind Vertrauen entgegen.
- Verabschiede Dich wirklich immer von Deinem Kind. Halte die Abschiedssituation dabei kurz. Einmal umgedreht, verlasse den Raum zügig – auch, wenn Dein Kind weint und es Dir schwerfällt.
- Fokussiere Dich während der gemeinsamen Zeit in der Gruppe auf Dein Kind – lass‘ aber auch zu, wenn Dein Kind von sich aus alleine, mit anderen Kindern oder mit der Erzieherin zu spielen beginnt.
- Wenn Du sehr unter den ersten Trennungen leidest, versuche Dich unbedingt abzulenken. Nutze die Momente der Trennung für Dich selbst – mit allem, was Dir gerade guttut oder Dich auf andere Gedanken bringt (Je nach Dauer Lesen, basteln, Hausarbeit, Gespräche mit anderen Eltern oder der besten Freundin am Telefon).
- Lasse aber ruhig auch Deine Tränen zu!
- Plane keine wichtigen Termine unmittelbar nach dem Kita-Besuch in der Eingewöhnungszeit ein und auch nicht zu viel Freizeit-Action. Ein guter Mittagsschlaf und der normale Familienalltag geben Deinem Kind Stabilität, mit den ungewohnten Neuerungen zurecht zu kommen.
- Falls Du Dein Krippenkind noch stillst und Ihr Euch damit wohlfühlt, behalte Euer Ritual ruhig noch bei. Dasselbe gilt für’s Fläschchen geben und das Einschlafritual am Abend.
- Wenn Du nach mehreren Tagen / Wochen das Gefühl hast, dass die Eingewöhnung nicht fachgerecht nach dem Berliner Modell durchgeführt wird, suche das Gespräch mit der Bezugserzieher:in oder mit der Einrichtungsleitung.
- Lass‘ Dich nicht verunsichern, wenn Dein Kind nach einer erfolgreichen Berliner Modell-Eingewöhnung plötzlich „Rückschritte“ macht und sich schlecht trennen kann. Das ist normal, weil Dein Kind Zeit braucht, um zu verstehen, dass die Kita jetzt zu seinem festen Alltag gehört.
Konnte ich alle Deine Fragen zur Eingewöhnung nach dem Berliner Modell beantworten? Wie sind Deine Erfahrungen mit diesem Konzept? Ich bin gespannt auf Deinen Kommentar!
Mir hat dieser Artikel super gefallen. Zumindest die gesamte theoretische Beschreibung. Dass nach 5 Tagen dann aber das Kind weinend zurück gelassen wird und für volle 30 Minuten die Eltern wegeblieben ist doch abereits genau das, was das Berliner Modell gerade nicht sein soll oder? Sehr schade!
@Johanne
Kleinkinder haben noch nicht viele Möglichkeiten ihre Bedürfnisse zu äußern. Es ist völlig normal, dass sie weinen, wenn die Eltern weggehen. Als Elternteil ist man ja auch ein bisschen traurig, das Kind nicht mitnehmen zu können, nur wir haben bereits Strategien zur Selbstregulation erlernt und können uns beruhigen.
Wie Meike schreibt ist es wichtig, dass die Kinder eine Beziehung zur*m Bezugserzieher*in aufgebaut haben und sich von diesen trösten lassen. Es ist manchmal schwer zu unterscheiden, ob das Kind aus Unzufriedenheit weint oder aus großer Not und Angst heraus. Darum ist es wichtig, dass auch die Beziehung zwischen den Eltern und Erzieher*innen von Vertrauen geprägt ist, und sich die Erzieher*innen bei den Eltern melden, sollte sich das Kind (noch) nicht von seiner*m Bezugserzieher*in beruhigen lassen.
@ Johanne
Nicht zwingend. Eine reibungslose Eingewöhnung ohne Tränen ist ein seltener Fall vorallem bei Kleinkindern. Es kommt immer darauf an wie die Eingewöhnung bis zu diesem Zeitpunkt verlief. Die ersten Trennungsversuche können ohne Probleme verlaufen in dem das Elternteil nur 10 15 minuten aus dem Raum war. Die richtige Trennungsphase beginnt aber erst wenn das Kind realisiert was dies eigentlich bedeutet. Kinder die eine starke Verbindung zu den Eltern haben weinen häufiger lassen sich aber nach kurzer zeit beruhigen und freuen sich auf das wiedersehen der Eltern. Ich weiß dass macht direkt keinen sinn aber so ist es. D.h. Wenn man sein Kind als erlternteil weinend zurück lassen muss heißt dass nicht das das Kind davon schäden erhält solange es sich nach kurzer zeit von der bezugsperson im kindergarten beruhigen lässt. selbst wenn das kind auch noch die restlichen 30 minuten nur auf dem arm der erzieherin verbringt ist das kein schlechtes zeichen.
Hoffe diese Antwort hat geholfen