Ob ein Kind sich gut konzentrieren kann oder nicht, hängt fast immer von den Eltern und dem Umfeld ab, das sie von Geburt an für ihr Kind schaffen. Aber wie entwickelt sich die Fähigkeit eines Kindes zur Konzentration tatsächlich und welche Zeitspanne ist „normal“? Hier findest Du praktische Konzentrationsübungen, um Dein Kind spielerisch zu fördern.
Was ist Konzentration?
Die Heilpraktikerin für Psychotherapie Dr. phil. Iris Kühnl definiert Konzentration folgendermaßen:
Konzentration ist die gewollte Fokussierung der Aufmerksamkeit auf eine bestimmte Tätigkeit, das Erreichen eines kurzfristig erreichbaren Ziels oder das Lösen einer gestellten Aufgabe.
Konzentration ist also die Fähigkeit, aktiv und willentlich die Aufmerksamkeit auf etwas zu lenken und für eine bestimmte Zeit bei dieser Sache zu bleiben. Dieser gedankliche Steuerungsprozess lässt sich nur eine bestimmte Zeit aufrecht erhalten – die Fähigkeit dazu ist jedem Menschen angeboren. In welchem Maße er sie allerdings entwickeln kann, ist individuell verschieden und hängt nicht nur vom Kind, sondern auch von der körperlichen Verfassung, Umgebung und der Unterstützung der Eltern ab. Denn Konzentration ist lernbar. Sie hat wenig mit dem IQ eines Kindes zu tun, aber unter anderem auch mit Motivation, erlernten Techniken und Eigenständigkeit.
Konzentration bei Babys und Kleinkindern
Babys und Kleinkinder konzentrieren sich noch ganz intuitiv und nach bloßem Interesse auf gewisse Menschen, Gegenstände oder Vorgänge. In den ersten Lebensjahren ist die Zeitspanne, in der sich ein Baby oder Kleinkind auf dieselbe Sache fokussieren kann, noch relativ begrenzt. Das bedeutet, dass sich Kinder in diesem Alter schnell ablenken lassen und schlichtweg wieder vergessen, was sie zuletzt getan haben. Das ist völlig normal und bedeutet nicht, dass das Kind ein Aufmerksamkeitsproblem hat. Es gibt so viele für uns selbstverständliche Vorgänge, die für die Kleinsten noch sehr anspruchsvoll sind und viel Konzentration erfordern. Krabbeln, Laufen, Essen oder Sprechen zum Beispiel.
Trotzdem können sich Kinder auch schon im Kleinkindalter sehr lange und vertieft mit etwas beschäftigen – vorausgesetzt, sie tun es freiwillig und werden dabei nicht gestört. Dann kommen sie in einen sogenannten „Flow“, ein sehr wichtiger Zustand konzentrierter Aufmerksamkeit, in dem das kindliche Gehirn enorm viel lernt. In diesem Zustand übt der kleine Mensch, sich zu konzentrieren und die Aufmerksamkeit für eine Sache aufrechtzuerhalten. Als Eltern können wir diesen Zustand allerdings nicht gezielt herbeiführen oder üben. Alles, was wir tun können, ist dem Kind passende Anregungen bieten und es nicht abzulenken. Das muss nicht immer Spielzeug sein, auch und vor allem Gegenstände aus der Natur und Tiere eignen sich bestens.
Im Umkehrschluss gibt es Rahmenbedingungen, die dazu führen können, dass Kinder die Fähigkeit, sich zu konzentrieren, nicht optimal entwickeln können. Dazu zählen:
- Schlechte Ernährung, z.B. viel Zucker und wenig Flüssigkeit
- erhöhter Medienkonsum
- Schlafmangel
- Mangel an frischer Luft und Bewegung
- Druck und Erwartungen von außen, Überforderung
- Unterforderung
- emotionale Belastungen
- häufige Unterbrechungen im freien Spiel
Konzentration bei Kindern fördern
Ein Vorschulkind kann sich durchschnittlich etwa 5-10 Minuten ohne Pause auf etwas konzentrieren. Je älter Kinder werden, desto länger wird die Zeitspanne, in der sie ihre Aufmerksamkeit gezielt steuern können. Gleichzeitig wird es immer wichtiger, sich auf Aufgaben zu konzentrieren, die nicht selbst gewählt sind, d.h. an denen das Kind nicht primär und von selbst Interesse zeigt. Auch diese Fähigkeit erlernt ein Kind allmählich. Spätestens in der Schule ist jedes Kind gezwungen, sich zu einem festgelegten Zeitpunkt auch unliebsamen Themen zu widmen und sich trotzdem zu konzentrieren. Das fordert unser Schulsystem von ihnen — es sei denn, die Eltern wählen eine alternative Schulform, wie zum Beispiel eine Montessori-Schule. In einer solchen Schule findet „Freies Lernen“ statt, d.h. die Kinder lernen freiwillig und anhand selbstgewählter Aufgaben.
Konzentrationsübungen für Kinder – praktische Ideen
Wenn es in der Schule Konzentrationsprobleme gibt, sind daran selten die Lehrer oder Betreuungsperson schuld, auch wenn viele Eltern die Lösung dieser Probleme gerne abwälzen. Vielmehr sollte man eigene Verhaltensweisen und den Umgang mit seinen Kindern überdenken und sie nach Möglichkeit fördern. Das gelingt z.B. mit diesen Tipps:
- Spiele Konzentrations- und Gedächtnisspiele mit Deinem Kind, am besten kombiniert mit Bewegung und frischer Luft. Rätsel oder Sprachspiele wie „Ich packe meinen Koffer und nehme mit…“ eigenen sich dafür hervorragend. Weitere Tipps findest Du hier.
- Schaffe eine geeignete Lernumgebung zu Hause, biete Spiele an, die viel Variation und Eigeninitiative erfordern, z.B. Bauklötze, Murmelbahn, Puzzles oder Bücher. Achte darauf, kein Überangebot zu schaffen, sonst ist Dein Kind ständig von neuen Dingen abgelenkt. Wenn es sich mit etwas nicht beschäftigt, räume dieses Spielzeug lieber weg und biete es ein andermal wieder an.
- Gib Deinem Kind Zeit für freies Spiel, das heißt für eigenständiges und kreatives Spielen ohne Vorgaben und Unterbrechungen. Denn in diesen Phasen kann Dein Kind üben, seine Aufmerksamkeit zu steuern.
- Sei ein Vorbild. Kinder lernen durch Nachahmung. Wenn Du Dich selbst lange in ein Buch oder Gespräch vertiefen kannst, wird Dein Kind genau das auch tun wollen.
- Schaffe eine ruhige, geordnete Umgebung mit einer verlässlichen Tagesstruktur. So wird es Deinem Kind leichter fallen, sich zu bestimmten Zeitpunkten nur auf eine Sache einzulassen.
- Unterstütze Dein Kind bei der Bewältigung von Frustration. Auch Misserfolge gehören zum Lernen dazu. Kleine Kinder können mit negativen Emotionen aber häufig noch nicht gut umgehen, weil sie sie nicht verstehen. Manchmal hilft es, wenn die Eltern diese verbalisieren und erklären.
- Gib Deinem Kind emotionale Sicherheit und eine feste Bindung. So wird es die Ruhe haben, sich im Spiel auf etwas zu fokussieren.
- Lass Dein Kind im Haushalt helfen. Bei kleinen, nützlichen Aufgaben sieht es sofort ein Ergebnis und fühlt sich als wichtiger Bestandteil der Familie.
- Vorlesen und Geschichten erzählen ist für die kindliche Entwicklung sehr wichtig. Hier haben sie die Gelegenheit, einer vertrauten und angenehmen Stimme zuzuhören, Zusammenhänge zu verstehen und sich dabei ruhig zu verhalten.
- Auch Lieder singen und Reime aufsagen erfordert ein hohes Maß an Aufmerksamkeit, vor allem, wenn ein Kind versucht, diese selbst wiederzugeben.
- Wimmelbücher und andere Suchspiele geben Deinem Kind die Gelegenheit, ein direktes Erfolgserlebnis mit ihrer Konzentration herbeizuführen.
- Bei Gesellschaftsspielen wie Mensch-Ärgere-Dich-Nicht lernt Dein Kind, dass auch andere davon betroffen sind, wenn es nicht bei der Sache bleiben möchte oder kann.
- Führe echte Gespräche – das klingt so banal und ist doch so wichtig. Denn ohne echte Konzentration kann es keine Kommunikation geben.
- Halte dich mit Lob und Tadel möglichst zurück, vor allem mit Kritik. Denn das führt zur sogenannten extrinsischen Motivation. Echtes Lernen und echte Konzentration finden dagegen nur bei intrinsischer Motivation statt, das heißt, wenn das Kind etwas um der Sache willen tut und Freude daran hat. Kinder haben ein sehr hohes Maß an intrinsischer Lernmotivation, die aber im Laufe der Zeit negativ beeinflusst werden kann, sogar durch Lob. Dann lernen die Kinder, um Lob zu erhalten oder eben nicht getadelt zu werden.
Echte Konzentrationsschwierigkeiten bei Kindern
Bisher war nur die Rede von der natürlichen Entwicklung der Konzentration bei Kindern. Tatsächlich werden aber immer häufiger echte Konzentrationsstörungen (z.B. ADHS) bei Kindern diagnostiziert. Dabei handelt es sich nicht mehr um eine leichte Beeinträchtigung, sondern um eine echte Störung. Gerade bei diesen Kindern sollten die Eltern die oben genannten Tipps und Hinweise beachten und zusätzlich professionelle Hilfe aufsuchen.
Häufig lassen sich neben ungesundem Lebensstil auch medizinische Ursachen finden. Zum Beispiel können Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder Allergien zu einer starken Beeinträchtigung der Konzentrationsfähigkeit führen. Auch zu viel Zucker bewirkt bei vielen Kindern, dass sie nicht still sitzen und gedanklich nicht bei einer Sache bleiben können. Bei manchen Kindern reichen dafür schon sehr kleine Mengen.
Auch Ruhe- und Entspannungtechniken wie Yoga oder Autogenes Training können betroffenen Kindern helfen, ihren Zustand zu verbessern. In letzter Instanz hilft manchmal aber wirklich nur die mittlerweile häufig verpönte medikamentöse Behandlung. Denn ohne passende Hilfe kann eine ADHS-Diagnose über die Konzentrations- und Lernstörungen hinaus zu sozialer Vereinsamung, schwachem Selbstwertgefühl bis hin zu Depressionen führen.
Über ihre Empfehlung, ein Kind nicht zu loben, um die intrinsiche Motivation nicht zu beeinflussen, bin ich sehr erstaunt. In meinem früheren Psychologiestudium habe ich gelernt, dass Lob ein wichtiger Zuwendungsfaktor zum Aufbau von wünschenswertem Verhalten ist und der Bindung dient. Die ist wichtig, um als Modell zur Nachahmung akzeptiert zu werden.
Basiert ihre Empfehlung auf neueren Studien und könnten sie mir diese nennen?
Vielen Dank
Ursula Claus, Dipl.Psych., Verhaltenstherapeutin
Hallo liebe Ursula,
vielen Dank für diesen konstruktiven Kommentar. Da haben Sie ein aktuell kontrovers diskutiertes Thema angesprochen. Aktuell tut sich hier sehr viel in der Forschung und sicherlich gibt es auch verschiedene Meinungen bei den Dozenten. Im EWS-Teil (Pädagogik, Schulpädagogik, Psychologie) meines Staatsexames (Lehramt) waren sich die Dozenten aber recht einig, dass loben und intrinsische Motivation sich nicht vertragen. Denn Lob regt immer einen Belohnungsmechanismus an, der zu einer extrinsischen Lernmotivation führt. Folglich lernen Kinder irgendwann, um Belohnung (Lob, gute Noten, etc.) zu erhalten. Nicht, weil sie ihrem intrinsischen Drang nach Wissen folgen.
Zur reinen Verhaltenstherapie, die auf den Aufbau von wünschenswertem Verhalten abzielt, ist jede Form von Belohnung und Bestrafung sicherlich hilfreich. Hier sind wir aber im Bereich der Konditionierung, welche bei Kindern und Menschen auf dieselbe Weise funktioniert wie bei Ratten in der Skinnerbox oder dem Pawlovschen Hund. Die meisten Eltern meiner Generation entscheiden sich bewusst, dass ihre Kinder nicht auf diese Weise „dressiert“ werden sollen.
Wenn Sie sich tatsächlich für das Thema interessieren, kann ich Ihnen einige Seiten bzw. Autoren zum weiterlesen empfehlen:
– Das Gewünschteste Wunschkind: Warum Lob und Loben Kindern schadet
– Publikationen von Herbert Renz-Polster oder Jesper Juul
– SZ-Artikel über aktuelle Studie zum Thema Loben
Hier gibt es einen kurzen Artikel als Überblick zum Thema auf dem Babyartikel-Magazin.
Ich hoffe, damit konnte ich weiterhelfen,
viele Grüße,
Hanna