„Aber das Kind muss doch mal teilen lernen, das macht man doch so nicht!“ oder „Sharing ist Caring“, diese Sätze kennen wahrscheinlich viele Eltern. Aber muss ein Kind wirklich seine Spielsachen teilen und abgeben können? Wieso wollen wir das? Oder gibt es auch eine Möglichkeit, dass das Kind nicht teilen muss, ohne dass wir Eltern Angst haben müssen, einen egoistischen Tyrannen groß zuziehen? Und was kann ich als Elternteil tun, wenn mich das alles einfach nervt? Übrigens: Mein Kind muss nicht teilen. Ich habe mich bewusst dagegen entschieden. Ich nehme Dich nun mit durch das spannende und schwierige Thema Teilen unter Kindern. Auch für uns Eltern.
Die Meinung der Gesellschaft: Kinder können und sollen teilen lernen
Recherchierst Du online zum Thema Teilen, findest Du etliche Artikel, die Dir erklären, dass Du Deinem Kind Teilen beibringen sollst und kannst. Dass Kinder teilen lernen können und sollten. Es wird Dir empfohlen, dass dein Kind seine Spielsachen aus Nettigkeit abgeben kann oder soll, um sozial zu agieren. Es wird empfohlen, dass Du dem Kind, dass dem anderen Kind ein Spielzeug aus der Hand gerissen hat, dieses Spielzeug ebenfalls wegnehmen und zurückgeben sollst. Schließlich hatte das andere es ja zuerst.
Wo ist da das Vorbild, frage ich mich. Und dass Spielzeuge, um die sich lange gezankt wird, weggelegt werden sollen. Wo ist da die Möglichkeit für Weiterentwicklung? Ich bin bei meinen Recherchen auch auf sogenannte Lernspiele gestoßen, durch die Kinder gezielt Teilen lernen und ohne lange Diskussionen die Regeln des Teilens akzeptieren sollen. Wie kann ein Kind hier Empathie für das Gegenüber lernen und sich gesehen fühlen? Ich finde das wirklich fragwürdig. Ach und Lieder zum Teilen lernen kennen wir sicherlich auch fast alle.
Teilen: Eine evolutionäre und soziale Einordnung
Teilen ist keine angeborene Fähigkeit, sondern etwas, was sich der Mensch im Lauf seines Lebens aneignet. Manchen Kindern fällt teilen leichter als anderen. Die Mehrheit der Kinder zwischen 1,5 und 4 Jahren teilt jedoch ungern die geliebten Spielsachen oder das Essen. Nimmt man es ihnen weg, werden sie meist wütend, toben und versuchen es zu verteidigen. Es ist wichtig zu wissen, dass genau dieses Verhalten zum Schutz des eigenen Hab und Guts in den vergangenen Jahrtausenden der Existenz und dem Überleben des Menschen diente! Das Kind handelt also aus einem natürlichen Antrieb heraus. Interessant, oder?
Das Teilen ist also etwas, was dem Menschen beigebracht wird, um sozial zu handeln und Teil einer Gemeinschaft zu werden. Um zu teilen wird Einfühlungsvermögen benötigt. Das Kind muss sich in das Gegenüber hineinversetzen können, um zu verstehen, was dieses gerade braucht. Empathie erlernt es allerdings nur durch Vorbilder und Nachmachen.
Dem Kind ist hierbei noch nicht klar, dass teilen einem selbst auch Vorteile bringen kann. Durch positive Erfahrungen beim Teilen festigt sich eine Strategie, die Wiederholungen ermöglicht. Bei meinen Recherchen habe ich immer wieder gelesen, dass es Einzelkindern leichter fallen würde zu teilen als Geschwisterkindern, da sie ihren Besitz nicht immer verteidigen müssen. Es wurde außerdem in Forschungen nachgewiesen, dass Kinder, die durch Freiwilligkeit teilen und nicht dazu gezwungen werden im Erwachsenenalter großzügiger sind.
Teilen müssen – Das gibt es bei uns nicht
Meine Tochter ist etwas mehr als 3 Jahre alt und wir leben bedürfnisorientiert. Ihre Grenzen zu wahren und ihr das Gefühl zu geben, dass sie gesehen wird, ist mir schon immer ein Anliegen gewesen. Also respektiere ich auch ihren Wunsch danach, oft nicht teilen zu wollen. Das ist natürlich meist alles andere als einfach.
Ich erlebe es vor allem hier in Asien sehr oft, dass andere Kinder ihre Spielzeuge an mein Kind abgeben müssen ohne es zu wollen. Und ich habe oft den Eindruck, dass das von uns auch erwartet wird. Es fallen Sätze wie „Na komm‘, sei lieb und gibt das mal kurz ab, du bekommst es ja wieder.“ Aber sie will meistens partout nicht. Sie möchte am Liebsten alles andere von den anderen Kindern nehmen, tut sich aber schwer diese Sachen dann wieder zurückzugeben.
Tauschen hat sie mittlerweile als Strategie für sich entdeckt, aber auch das funktioniert nicht immer. Vor allem wenn das Gegenüber nicht tauschen möchte. Wichtig ist für mich, dass sie mir und anderen nicht gehorchen und dann die Sachen gegen ihren Willen abgeben muss. Jetzt fragst Du Dich sicherlich, wie ich das dann handhabe.
Teilen auf Augenhöhe und als Freiwilligkeit
Wir haben die Regel, dass niemandem etwas aus den Händen gerissen wird. Keinem anderen Kind und auch ihr nicht. Auch nicht von mir. Wir warten immer bis der andere bereit ist zu teilen oder zu tauschen. Also begleite ich sie durch diesen Prozess hindurch. Ich frage sie, wenn ein Kind in ihre Nähe kommt und Interesse an Spielsachen zeigt, ob sie teilen möchte. Sagt sie nein und das Kind fragt beispielweise auch nochmal und es bleibt bei einem Nein, dann ist es ein Nein. Oft sage ich dem anderen Kind dann, dass sie leider nicht teilen möchte. Damit zeige ich meiner Tochter, dass ich sie Ernst nehme und sie entscheiden darf.
Reißt meine Tochter einem anderen Kind das Spielzeug weg und dieses zeigt seine Wut und Frustration, gehe ich auf Augenhöhe und begleite meine Tochter im Sinne der gewaltfreien Kommunikation beispielsweise so:
- „Jetzt hast du dem Kind die Puppe aus der Hand gerissen.“
- „Ja, ich wollte die haben!“
- „Du findest die Puppe ganz toll und willst damit spielen.“
- „Ja, genau.“
- „Schau mal, das Kind ist jetzt ganz traurig, weil du die Puppe einfach genommen hast ohne zu fragen, ob es teilen möchte.“
- „Ja.“
- „Kannst du sie zurückgeben? Bist du bereit dazu?“
Da kommt manchmal ein Ja aber oft ein Nein. Wer hätte es gedacht! 😊
Ich versuche dann auf das andere Kind einzugehen, um meiner Tochter zu vermitteln, was in ihm vorgeht und frage es, ob es die Puppe gerne wiederhätte, ob es gerade sehr traurig sei. Da kommt immer ein Ja. Dann frage ich meine Tochter erneut, ob sie die Puppe nun zurückgeben kann. Bei einem weiteren Nein frage ich sie, was sie braucht, um sie zurückgeben zu können.
Unsere etablierte Strategie ist dann der Handywecker, der auf 1 Minute eingestellt wird. Ich frage dann das andere Kind, sofern möglich, ob das okay ist oder erkläre, dass sie dann wahrscheinlich bereit sein wird, die Puppe abzugeben und stelle den Wecker. Und zu 98% klappt das Zurückgeben dann.
Ich beobachte bei meiner Tochter sehr oft, dass ihr das Teilen draußen viel leichter fällt als im häuslichen Umfeld. Meistens geht sie hier bereitwillig auf Kinder zu und zeigt ihre Spielsachen und lädt zum gemeinsamen Spiel ein.
Strategien um Stress beim Teilen zu reduzieren: Vor allem für uns Eltern
Wir Eltern sind nicht immer in Topform und wir haben nicht immer die Energie dazu, ständig die Kinder durch diese Streitsituationen um Gegenstände zu begleiten. Oft denken wir uns, warum geht das nicht einfach mal anders. Dann würden wir am liebsten den Streitgegenstand weglegen, um Ruhe zu haben.
Ich finde, wenn es gar nicht anders geht und man als Elternteil keine andere Strategie hat um ruhig zu bleiben, warum nicht. Man ist schließlich auch nur ein Mensch mit eigenen Bedürfnissen und tut sein Bestmöglichstes. Gleichzeitig finde ich, sollte das nicht die grundsätzliche Lösung sein, da das eigene Kind oder die Kinder so nichts dazulernen können.
Die Idee mit dem Wecker kann ich dir nur wärmstens empfehlen. Vielleicht hilft sie dir ja auch. Und für zu Hause: Bei Besuch das eigene Kind fragen, welche Spielsachen nicht geteilt werden sollen und diese in Sicherheit bringen, schafft auch Ruhe.